23 Uhr 59, 23 Uhr 60, 23 Uhr 61

In letzter Zeit gehen mir ständig Fragen durch den Kopf wie: War der Urknall tagsüber oder nachts? Haben da alle geschlafen? Oder sind sie heute schon tot? Wie konnten sie das überleben? Wo ist überhaupt beim Mond oben und unten? Ist das im Süden anders als im Norden? Und von der Sonne aus gesehen? Können Ameisen kacken? Und wo landet der ganze Sch...? IM Haufen? Warum bleiben die Flüchtlinge nicht einfach zu Hause? Wer hat eigentlich Stüropor erfunden? Und warum immer noch nicht? Wieso hat VW nur Amerika ums Abgas betrogen? Mein Gott, Abgas gibt es doch praktisch umsonst! Es gibt noch so viel zu klären in der Welt. Man schämt sich fast, kein Wissenschaftler zu sein und bei der Lösung der existentiellen Fragen des Lebens mit zu wirken.

Mir ist da was aufgefallen. Und zwar hat hier jemand vor etwa hundert Jahren in der Umgebung einen Tunnel gebaut. Für die Bahn. Schmalspur, so weit, ich weiß, aber der Tunnel hat Normalspursilhouette. Wenn man einen Pappkarton ausschneidet, der wie ein Korken in die Tunnelöffnung passt, ihn schwarz anstreicht und dann in Weiß die Maße einträgt, mit spitzen Pfeilen Breite, Höhe und diesen Zickzack von der Bahnsteigkante, dann entsteht vermutlich das, was man vor vierzig Jahren im Modellbaukatalog des Hobbyeisenbahners fand - nur in groß. Ein Tunnel, durch den man mit einem Motorrad fahren kann, oder Auto, Panzer, was gerade zur Hand ist. Panzer sage ich deshalb, weil oben über dem Tunnel einer von den Freaks residiert, den man in Militarykreisen als Resteverwerter kennt. Amerikanische Militärfahrzeuge en gros.

Passt irgendwie. Nun, der Tunnel, darauf will ich hinaus, ist wie man hier sagt, strack geradeaus, ein Linealtunnel. Und er weist von West nach Ost - je nachdem auch umgekehrt: einspuriger Verkehr. Die Gleise sind schon abgebaut, jetzt geht ein Wanderweg durch und vorne und hinten gibt es Lichtschalter, um sich nicht im Dunklen zu verlaufen. Während ich mich also mit meinem Moped nicht zu verlaufen versuche im Tunnel geht mir auf, dass die Tunnelachse leicht verschoben sein muss gegen die Ost-West-Richtung. Somit stellt sich die Frage, die mich von dem Moment an nicht mehr los lässt: Kann man an irgend einem Tag im Jahr bei Sonnenaufgang die aufgehende Sonne von einem Tunnelportal zum anderen wie durch ein Fernrohr beobachten? Wenn ja, müsste der Tunnel zusammen mit Stone Henge und den Cheopspyramiden in die Liste der archaischen ...

Man braucht ein Geodreieck. Ferner eine App, die Satellitenkarten zeigt, dann ein Blatt Papier (in dem Falle die Rückseite einer Glückwunschkarte vom Syndikat - Autorengruppe deutschsprachlicher Kriminalroman) und wupp-wupp--wupp-wupp (Herzklopfen): 23,5°. Die Ekliptik. Da hat ein Tunnelbauingenieur pielgerade einen Eisenbahntunnel in die Landschaft gestellt, der aber sowas von exakt auf den Sonnenaufgang der Sommersonnenwende ausgerichtet ist, dass man sich instinktiv zu fragen beginnt, warum wohl vor der Rückseite (Beobachtungsportal) ein Campingplatz entstanden ist. Lange nach der Bahn. Und was das ganze zu bedeuten hat. Oder eben auch nicht. Direkt übrigens neben dem Hexenfelsen in Reichweite eines Klosters da, wo die Germanen noch Germanen sind, also eine Mischung aus Kelten und Neandertalern.

Und was hat sich wohl der Lokführer am 21. Juni gedacht, wenn er morgens in das Loch einfuhr? Am Ende des Tunnels leuchtet ein gleißendes Licht. Na, heute haben wir ja Strom. Wir drücken auf den Schalter und ...