Der Feind im Schuhkarton

Die Route des Grandes Alpes ist eine malerische Kombination von Gebirgspässen, deren Anziehungskraft vor allem auf die Tour de France mittlerweile auch den unpedalierten Rest der Welt erfasst hat. Je nach Variante sind dort 16 oder mehr Cols und Cormets zu überqueren, die man sonst nur im Fernsehen sieht. Das ist ein Traum. Vor allem für Biker.

Offenbar aber auch für den Wohnmobilisten, dessen ganz eigene Psyche der übrigen Welt unverstanden bleiben muss. Was treibt einen Menschen, sein Zuhause mit in den Urlaub zu nehmen - einschließlich Klo und Waschmaschine und Fernsehapparat? Kfz-Versicherung, Ernas Putzlumpen und die Anweisungen dazu ... Ein Mysterium. Es ist wohl die konsequente Fortführung des Gedankens, der hinter der Thermoskanne und den Stullen für unterwegs stecken mag, damit Papa nicht vor Paris anhalten muss.

Nun ist ja Zelt und Schlafsack die Antwort auf Zimmerpreise, die sich in gewissen Gegenden und Monaten im Bereich von Monatslöhnen zu bewegen scheinen, also ein Akt von Notwehr des Reisenden, wenn man in diesen Termini denken möchte. Sparmärkte, Lidl und Carrefour ergänzen dann das Bild der gesellschaftlichen Akzeptanz legitimer Urlaubspiraterie durch Pfennigfuchser.

Dann stellt sich die Frage, warum da, wo die Sache so wenig Sinn ergibt? Warum fährt jemand in ein mondänes Seebad und stellt dort seinen Plastikspind ans Kai? Naja, wenn man es unter diesem Aspekt betrachtet, ist es mit dem Jetset auch nicht anders. Nur dass deren Wohnmobile auf dem Wasser schwimmen. Ästhetische Aspekte sind jenseits alles monetären Kastendenkens hie wie da identisch.

Da vielleicht auch schon der Grund für den kleinen Mann im großen Wagen. Man wird nicht umhin kommen, die Seele dessen zu analysieren, der meint, ihm entginge ein wesentlicher Teil des Unterhaltungsprogramms, weil man ihn auf die billigen Plätze verwiesen hat. Das Ziel einer solchen Reise ist dann die Gewissheit, dass mit Hilfe des mobilen Kleiderschrankes diese wesentlichen Erfahrungen erzwungen werden können.

Eine etwas traurige Unterstellung, deren Beleg allerdings in den Gesichtern der Spezies leuchtet, die es nun tatsächlich schafft, die umgepolten Gefriertruhen durch das Gebirge zu kutschieren. Eigentlich müsste vorweg und hinterdrein ein Polizeiwagen mit Sirene und Blaulicht fahren, wie das bei Schwertransporten üblich ist, aber bei der Anzahl der Unbelehrbaren, die ihre Wohnmobile unter Umgehung geeigneter Straßen über die Alpen scheuchen, gehen den Gendarmen schnell die Einsatzwagen aus.

Am Col de Lautaret ist die Straße so schmal, dass man mit einer querstehenden Schubkarre den Pass absperren könnte. Alle zwei Kilometer ist eine Ausweichbucht in eine vertikale Steinflanke der Straße gehauen. Und dort oben, überflüssig zu erwähnen, dass das gesamte Areal ein Naturpark ist, dort oben begegnen sich nun Wanne-Eickel und Utrecht zum fröhlichen Rangieren.

Drei Fragezeichen im Gesicht konstatiert ein Radfahrer, der die weisse Wand von Hymer rückwärts auf sich zu piepen sieht, dass der Fahrer mit seinem Hausstand zwischen Lenkrad und Restwelt eh nicht merkt, wenn er zwanzig Zyklisten hinter sich zu einem Mobile zusammen faltet, weil der sich gerade auf den Abgrund links konzentriert und die lächerlich wirkenden Mauerzinnen, die den Straßenrand von der angrenzenden Schlucht eher optisch als sicherheitstechnisch trennen.

Was denkt sich der Mann, der jetzt hinter dem Steuer seiner Jacht auf Rädern sitzt? Was wird er seinen Freunden darüber erzählen, an welche lauschigen Plätze er mit seinem mobilen Home schon alles reisen konnte, da er sich ja nicht aufhalten oder von der Vernunft abschrecken ließ? Tja, der Franzose nimmt's gelassen. Übrigens steht der seinem niederländischen Kollegen kaum noch in Größe, Potenz und mobilistischem Durchsetzungswillen der Caravans nach. Er, der fußläufige, radfahrende und sich um den Verkehrsfluß sorgende Franzose stellt Schilder auf, um vor mangelnder Tunnelhöhe, Straßenbreite und in den Fahrweg ragende Felsbrocken zu warnen.

Was nun immer noch von einer genügenden Anzahl von Hardlinern unter den Heimurlaubern misstrauisch zur Unkenntnis genommen wird. Denn an jedem Felszacken, der die Straße verengt, zeigen sich die nämlichen Abnutzungsspuren. Unter jede Brücke ist schon ein Wohnmobil geklemmt gewesen, jeder ovale Tunnel ist rechts oben von weißen Rallyestreifen gesäumt. Als hätte ein Riese die Wohnmobile aus einer gewaltigen Tennisballkanone vom Genfer See aus ohne jeden Verstand und Kontrolle an die Riviera geschossen.

Dort auf einem Camping bei Sanremo morgens um sieben die Überraschung. Ein Türen- und Toreklappern wie im Krieg kündigt den Aufbruch der Schweizer(?) Gesandschaft an, die sich in die Berge aufmacht. Es ist reiner Unmut aus dem Lärm zu filtern, der die Verursacher auszeichnet gegenüber allen, die jetzt noch schlafen wollen, und können. Denn der frühe Vogel frißt unter den mobilistigen Wohnern den Wurm. Man muss schon morgens auf die Piste, weil man ein paar Stunden später nur noch stehend voran kommt. Entsprechend Unmut und Lärm.

An das lasse ich mich gerade erinnern, als die Nachbarn hier zu Hause zum Aufbruch rüsten. Egal wohin, und sei es nur für einen Tag, die Vorbereitungen klingen immer gleich. Bei der Wehrmacht spielte sich das im T-Bereich ab. Der technische bereich der Truppe ist der Panzerparkplatz, die Garage für Haubitzen und Jeeps. Ein Wohnmobil nennen Soldaten Koffer. Und das Kofferpacken ist selten ein Akt der Freude. Zumindest in Ausrüsterkreisen. Aber das ist ja auch nicht der Sinn der Sache.