Schamanen der Bundesbank

Cochem ist vor allem durch seine Reichsburg bekannt, durch die Mosel und den Wein. Aber auch die Bundesbank fand an den Steillagen der Stadt Gefallen und grub dort unter einer Garage ein tiefes Loch in den Fels. Hinter einigen Stahltüren, verschlungenen Gängen und Beton befand sich - wie sagte noch einer gezielt untreffend: das deutsche Fort Knox.

Unzutreffend schon deshalb, weil in Cochem nie Gold gelagert wurde. Weiterhin auch keine militärischen Güter oder Werte gelagert und militärisch bewacht. Der Schutz dessen, was hier untergebracht war, hieß schlichtweg Geheimhaltung. Und die hat offensichtlich funktioniert, denn im Gegensatz zum kaum 50 km entfernten Regierungsbunker, dessen Inventar die Stasi bis auf die Schraube genau anzugeben wußte, hatte außer der Bundesbank selbst niemand auch nur eine Ahnung, was in Cochem versteckt war.

Nämlich Geld. 15 Milliarden Deutsche Mark in einer Schattenwährung aus 10ern, 20ern, 50ern und 100-DM-Scheinen, die zwar an das im Umlauf befindliche Bargeld erinnerten, ihm aber nur einseitig glichen. Die Rückseite der Scheine unterschied sich deutlich, denn man wollte Verwechslungen meiden. Die Währung diente zum Austausch der Deutschen Mark für den Fall, dass massive Fälschungen die deutsche Wirtschaft bedrohten - ein Relikt des kalten Krieges und der Paranoia von Wirtschaftsstrategen, die aus der Hitlerzeit gelernt hatten (die Fälscher), wie man eine Volkswirtschaft zerdeppert.

Etwa 25 Mrd DM waren zum Zeitpunkt von Bau und Betrieb der Anlage im regulären Umlauf, und ebenso viel Schattengeld wurde zum Austausch bereit gehalten. 15 davon in Cochem, der Rest in Frankfurt selbst. Kam der erwartete Krieg oder die böswillige Geldfälschungsoffensive, hätte man binnen vierzehn Tagen den gesamten Bargeldbestand an Deutscher Mark von hier aus ersetzt. Tag für Tag eine Milliarde.

Das ist ein Ding. Das etwa 80 angestellte Geldzähler hätten stemmen müssen. Unter ziemlich heiklen Bedingungen, denn man rechnete mit einem möglicherweise zeitgleichen Atomschlag. Die Kassierer unter Tage hatten also Schutzausrüstung und Dekontamination, Feldtelefone und Panzertüren. Die Fernschreiber waren ans Warnnetz der Schutzräume angeschlossen. Über Lagezentren konnte man sich auf dem Laufenden halten, wo die Rote Armee gerade stand.

Wer die Anlage besichtigt, wird sich kopfschüttelnd fragen, was der Stratege der Bundesbank in seinem Kopf gehabt haben mag bei Planung und Betrieb dieses Monsters, denn a) hätte das Ding niemals einem Atomschlag standhalten können, b) hätte man in einem solchen Fall draußen keine Infrastruktur gehabt, um die Geldmengen von drinnen zu befördern und c) war nach 14 Tagen Öl, Strom, Wasser und Nahrung drinnen verbraucht und damit während dessen draußen Papiergeld als Zahlungsmittel ohnehin von Zigarettenwährung und Nylonstrümpfen abgelöst.

Aber all diese Schicksale ereilten den Bunker nicht, auch blieb die Schattenwährung geheim, bis sie eingestampft wurde (8 Jahre lang hatte die Bundesdruckerei gebraucht, um die Scheine zu drucken - das Einstampfen ging dann wohl etwas schneller). Nein, der Bunker wurde überflüssig, als sich die Gefahr durch einen Falschgeldkollaps der Wirtschaft dank bargeldlosen Zahlungsverkehrs in die virtuelle Welt des Cybercrime verlagerte. Heutzutage wird eine solche Attacke von Codeknackern gesteuert, kaum mit Druckplatten und Kopiergeräten.

Aber das Denkmal der Angst vor dem großen Coup der Kriegsgeldfälscher zeugt in beeindruckender Weise davon, was Menschen sich ausdenken, um Menschen das Leben zur Hölle zu machen. Und was sie dann wieder erfinden, um sich vor ihren eigenen heimtückischen Erfindungen zu schützen. Heute ist der Bunker in Privatbesitz, steht unter Denkmalschutz und beherbergt keinen Pfennig. Wie gut die Tarnung funktionierte, erlebt man vor der Besichtigung, wenn man nämlich den Eingang sucht.

Der liegt in Cond auf der Rückseite des Hotels Vintage am Wald 35. Man muss in diese alten Anlagen hinein, um ein ungefähres Bild von der Bedrückung zu bekommen, in der ein Bundesbürger nach 1960 lebte. Gruselige, in Beton gegossene Hilflosigkeit angesichts eines als unabwendbar angesehenen Weltanschauungskrieges, der die Hälfte der Menschheit mal eben vom Planeten radiert hätte. Und nebenbei auch den Wein von den Moselhängen durch den einkalkulierten atomaren Winter.

Soweit, so gut. Die DM existiert so wenig wie die Nationale Volksarmee, aber der Bunker steht wie ne Eins. Eine Sache begeistert den kritischen Naturwissenschaftler außerordentlich. Das ist die Art und Weise, wie man den Bunker für den Ernstfall bewässern ließ. Man grub eine unterirdische Wasserader an. Und man fand die unterirdische Wasserader durch einen Wünschelrutengänger. Die Schamanen von der Bundesbank.