Chinamann

Commissaire de Volvaix nutzte die Straßenbahn. Eine der letzten Linien, die man noch nicht auf das Flüstergleis umgestellt hatte. Volvaix liebte das Geschrammel der Weichen. Es erinnerte ihn an alte Zeiten, bessere Zeiten. An der Bäckerei, in der früher einmal de Bernais die besten Croissants des Viertels verkauft hatte, hob er sich aus der Holzschale des Sitzes über der Heizung und sprang behende auf das Kopfsteinpflaster. Unter dem Schriftzug Tai-Chin-Noodle-Cup war noch schwach das Ende des Doppelkopfes Boulangerie-Patisserie zu erkennen: …atisser…

Darunter, hinter Glas und gold-rotem Chinadekor Drachenkitsch und Mingvasen sah er den Mann mit dem Messer. Etwa einen Kopf größer als die Chinesen gehörte er weder zum Inventar noch zur zahlenden Kundschaft. Die Kleidung des Täters wirkte, als sei sie aus Gummi. Oder die eines Priesters. Volvaix klopfte an die Scheibe. Die Tür war versperrt, obwohl das Schild geöffnet aushing. Der Commissaire hob seinen Polizeiausweis an die Scheibe. Der Messermann ließ seine Waffe fallen und stürmte nach hinten hinaus zur Toilette.

Von dort würde er den Hof erreichen, durch den auf eine der Nebenstraßen flüchten, dann wäre er weg. Volvaix schenkte sich die Verfolgung. Er griff in die Tasche und zückte die Gauloises. Nicht der erste Fall für heute. Im 17ten hatte jemand ein Fahrrad gestohlen und auf der Rue de Rivoli doch tatsächlich ein Motorboot. Ein Taucher hatte nachts in der Seine Netze ausgehängt, in denen sich heute Morgen ein Fliegenschiff verfangen hatte. Es gab mehrere kleine Diebstähle und eine Sachbeschädigung mit Farbe. la répression fait rage hatte jemand an etwa zwanzig Eisenpfeiler einer Brücke geschmiert.

Natürlich hingen die Fälle zusammen. Doch wie? Volvaix zeichnete auf einem inneren Stadtplan den Weg des Täters nach. Der Commissaire brauchte kein Navi, um sich in Paris zurecht zu finden. Er hatte noch einen altmodischen Stadtplan aus Papier im Kopf. Man konnte ihn falsch zusammen falten, Fliegen damit verscheuchen, ihn als Untersetzer für Pastis benutzen, die Straßenkarte mitsamt ihrem monumentalen Abbild einer Metropole im Kamin niederbrennen, und am nächsten Tag war alles wieder so wie früher. Besser als die digitalen Pläne der Orientierungslosen von heute.

Nur das Netz der Metro ging ihm nicht in den Kopf rein. Volvaix gehörte zu den traurigen Gestalten, die sich in einer Reihe mit Touristen aus Fernost und den unzivilisierten Nachbarländern in der Metro an die Wand stellen und die RATP-Schnittmuster aus grünen, gelben, roten, violetten, gestrichelten und schraffierten Linien nachzogen, um innerlich vom Montmartre zum Gare de Austerlitz zu navigieren. Von dort zur Oper und zum Hotel zurück. Am Ende gaben alle auf und vertrauten sich einem der pakistanischen Taxifahrer an. Die wiederum nur ihrem Navi trauten.

Das wiederum weder Baustellen noch Müllfuhren kannte, weil es aus China stammte. Die Route des Messer-Fahrrad-Netz-Tauchers beschrieb ein großes Z, das an der Port de Clichy begann und den Louvre in zwei Hälften schnitt. Raffiniert, dachte de Volvaix, raffiniert …