Stan le Tueur

Stan als Name soll sorbischer Herkunft sein und die Ausdauer und Stärke der Slawen rühmen. Ein polnischer Mörder trägt diesen Namen in George Simenons Kurzgeschichte. Dessen Landsleute kommen unter Simenons Augen im zerrütteten Paris nicht gut weg. Sie lieben es, ausgestreckt im Bett zu liegen, sei das Bett auch zerbrochen, und Vodkaflaschen zu leeren. Ansonsten rotteten sie, um diesen ihren Lebenswandel zu finanzieren, ohne jegliche Ambition im Norden / Pas de Calais ganze Familien aus und plünderen ihre Höfe.

Polen lieben es, herum zu sitzen, gemeinsam zu schwatzen und gemeinsam zu singen. Sie bevölkern die Straßen wie harmlose Bürger, sind zuweilen ärmlich, häufig jedoch auch nach Art geschasster Offiziere adrett gekleidete Herren, die sich gern den Bauch voll stopfen und kunterbunt mit ihren Frauen durcheinander schlafen. Es wimmelt von ihnen rund um die Bastille. Hätte Simenon das Arrondissement gewechselt und das slawische Herkunftsland, das Herz wäre dem gläubigen Parisisten aufgegangen mit dem glanzvollen Souvenir: Bohème!

Voilà, wie nahe Nostalgie und Kulturchauvinismus im Kopf des Lesers sind. 1964 filmten Dufour / Verneuil den Abzug der Briten über den Kanal aus Sicht der Franzosen: Week-end à Zuydcoote. Jean-Paul Belmondo spielt Julien Maillat, der sich durch Sand, Artilleriegewitter und formelle Widrigkeiten schlägt, um sich mit dem britischen Expeditionscrops einzuschiffen. Die große Flucht von 1940 wird von Filmkritikern durchweg kritisch gesehen. Der Film im deutschen Titel Dünkirchen, 2. Juni 1940 sei effekthaschend und verliere die Wirklichkeit aus den Augen:

Nicht empfehlenswert

Diese Wirklichkeit, die nicht historische. Die historische Wirklichkeit ist ein Phänomen. Ich will sie mal mit den Augen eines Mathematikers sehen, der in der Algebra ein Paradoxon fand. Wir nehmen eine Menge aus Mengen, sagte Russel, die sich selbst nicht enthält. Dann ist diese Menge Teil aller Mengen, die sich selbst nicht enthalten, und sie ist in der Menge der Mengen, die sich selbst nicht als Element enthalten, sicher selbst nicht enthalten. Kann Gott in seiner Allmacht, um es mal griffiger zu sagen, einen Stein erschaffen so schwer, dass er ihn selbst nicht fortschaffen kann?

Paradox

Hier endet die Allmacht der Götter, Mathematiker und Historiker wie der Sturz eines Bauarbeiters vom siebten Stock des Gerüstes. Doch beide hatten Glück. Sie blieben mit dem Auge im vierten Stock an einem Nagel hängen, der dort eingeschlagen war. Die Menge aller Mengen ist selbst keine Menge. Existiert also eine Klasse, die Mengen enthält, wird sie keine Klassen enthalten, also nicht sich selbst. Russel hat also mit seiner Antinomie die Nullmenge benannt. Die Nullmenge enthält sich gleichzeitig selbst und gleichzeitig selbst auch nicht, denn sie ist ja leer.

So lässt sich gut philosophieren. Wenn man Geld dafür bekommt. Und nicht essen muss, was nicht im Kühlschrank ist. Da der Kühlschrank selbst ja leer und selbst kein Nahrungsmittel ist. Gib mir einen Teller davon, was nicht auf dem Teller ist, aber vermeide es, mir einen leeren Teller zu servieren, denn der ist nicht essbar. Auf diesem Teller scheint auch die historische Wahrheit zu liegen. Bei Simenon und den Kritikern Belmondos. Sie definieren einen Begriff, der leerer nicht sein könnte und verwenden ihn dann als Axt, um damit Holz zu spalten.

Die historische Wahrheit. Ist, sagt der Philosoph, dass ich heute noch nicht geschissen habe. Auf britischer Seite nannte man den Exodus von 1940 Operation Dynamo. Man kann sich in den Katakomben von Dover Castle, wo die Leitstelle der Operation eingerichtet war, die Aufarbeitung ansehen. Und wird sich wundern, wie ausgewogen die Ausstellung gelungen ist. Rezeption in der Presse unterschiedlicher Länder zeigt, dass es eine historische Wahrheit zum Thema niemals geben wird.

Und der Film von Dufour und Verneuil ist zumindest ein leidenschaftliches Statement gegen den Krieg in einer sehr präzisen Schilderung von Szenen, die sich ganz gewiss in einem solchen Chaos abgespielt haben. Zudem, und das freut wieder denjenigen, der den Landstrich heute kennt, zeigt er, wie es dort an der Küste damals aussah. Und beides zusammen treibt einem nostalgisch bittere Tränen in die Augen. So wie Simenon mit seinen Polen. Die es wahrscheinlich so niemals gab.

Oder haben sie sich wirklich rund um die rue de Birague zu mehreren ein Hotelzimmer geteilt, mit Spirituskochern für das halbe Dutzend gekocht und ihre Tage auf den Straßen des 4. Arrondissements verbummelt? Und waren die Velours-Sitze im Warteraum des Quai d'Orfèvres wirklich grün? Die historische Wahrheit ist ein Kampfhund an der Leine eines Besserwissers, scheint es manchmal. Ich war übrigens kürzlich im 4. Arrondissement. Es sieht dort stellenweise noch genauso aus, wie Simenon behauptet.

Nur die Autos sind moderner, die Polen auch ...