Reiseweltmeister

... wird man nicht allein durch viel Verkehr in viele Länder und die Summe an Bruttoinlandsvermögen, das man auf diese (legale) Weise ins Ausland schafft, man muss in dieser Disziplin auch den Besserwissercontest beherrschen. Denn wer die Met wie seine Westentasche kennt, ist mindestens genauso weltläufig wie der, der dreimal jährlich alle All-Inclus abklappern fliegt.

Ein kleines Büchlein, von dem ich nicht Titel noch Verfasserin nennen möchte, fasst alle Irrtümer zusammen, die in der Welt der Reisenden geläufig sind. Charmant und witzig bis hin zur unfreiwilligen Komik lässt das Kompendium des Profitouristen nur nach und nach die Hosen runter. Dass nämlich die Geschichte im ersten Kapitel möglicherweise ein unkritischer Einstieg in die weite Welt der großen weiten Welt sein könnte.

Da ist von einem Schweizer die Rede, der in Afghanistan jenem Zweig der Tourismus-Branche nachgeht, der nur in Krisenregionen boomt. Sagen wir ausschließlich dort boomen KANN: denn es handelt sich um Katastrophentourismus erster Güte, ganz nah dran sein zu wollen an all dem Leid und Elend der Menschen im Angesicht der schweißtreibenden Gefahr, selbst als Tourist gekidnappt zu werden. Trotz Warnung des auswärtigen Amtes - oder gerade deswegen.

Veranstalter stellen den Real-Live-Abenteurern kugelsichere Jeeps, um damit von einem Ort zum anderen zu reisen, die man alle nur aus den Nachrichten kennt. Wie smart macht sich da der Schweizer aus, der ganz alternativ mit einer türkischstämmigen Frau als Ehepaar ausgegeben das Schicksal und den Schweizer Steuerzahler herausforderte - und zu allem Überdruß NICHT gekidnappt wurde?

Hm, der Tourist an sich hat ein eigenes Gemüt. Er schafft es, sich über Ökobilanzen von Flugzeug, Bahn und Bus auszulassen, seitenweise zu schwadronieren, was man alles mit dem Fahrrad machen sollte, und dann stolz die eigenen siebenstelligen Reisemeilen vorzuweisen. Er bricht eine Lanze für Alphornbläser in Hotellobbys und halbnackte Maoritänze beim Begrüßungsdrink am Swimmingpool. Nichts soll dem Urlauber peinlich sein, vor allem nicht, sich als Einer zu outen, dem wirklich nichts mehr peinlich ist.

Alors: In Paris kommt man wunderbar mit Englisch zurecht, denn die Hauptstadtbewohner sprechen so gut Englisch, wie sich das für eine Metropole gehört. Em, und in London kommt man so gut mit Französisch zurecht wie in Montreal mit Türkisch. Aber gut, der Franzose ist auch auf dem Land nicht so arrogant oder so blöd, sich dem Weltsprache radebrechenden Teil der Touristen zu verweigern, die den Anstand nicht haben, Landessprache zu erwerben, wohin auch immer sie ihre Kreditkarte verschlägt.

Châpeau, den Landfranzosen!
Oder trauriges Zeugnis der Globalisierung einer Arroganz, die keine Grenzen kennt?

Schön ist es immer, Packlisten zu betrachten, die sich Reisende auferlegen, um Kontrollzwänge zu unterdrücken. So war bei der Entdeckung der Nilquellen auch genügend Champagner dabei nebst Porzellan für den Tee und Zigarren für die Herrschaft. Auf diese Weise konnte man gleich ganzen verarmten Landstrichen mit Arbeitsplätzen als Träger auf die Sprünge helfen und ihnen so das herbe Los des unedlen Wilden ersparen, der in den Weiten seines Kontinentes fern der europäischen Wertegemeinschaft arbeitslos vor sich hin döste - oder unter den Peitschen einer anderen Kolonialmacht zu anderen Pioniertaten ermuntert wurde wie der Entdeckung und feierlichen Fahnensetzung am Südpol, auf dem Mount Everest, dem Kilimandscharo, dem siebten Mondkrater im Mare Umbrium von rechts gesehen neben der Landezone ...

... und das alles, ohne die eigenen Nilquellen je entdeckt zu haben!!

Die meisten Gepäcklisten müffeln nach jenen Peinlichkeiten, die in nicht mehr hinterfragbaren Gewohnheiten vor sich hin modern wie Lippencreme fürs Flugzeug oder Desinfektionstücher, Hornhautsalbe oder das Kleine Schwarze mit dem großen Goldenen und ein faltbarer Regenschirm. Wenn es wirklich drauf ankommt, wußte Douglas Adams sich auf das Wesentliche zu reduzieren. Eine Kanne Tee hätte eigentlich da stehen sollen, wo schließlich das Handtuch landete, ohne Abstand zum fehlenden Nächsten auf Platz eins.

Mir wurde gerade berichtet, dass bei einem Konzert in der Bonner Oper letzte Woche jemand im Publikum einen Döner ausgepackt hat. War aber nur Jazz. Da verwundert nicht, dass Abendgäste IM KLEINEN SCHWARZEN sich Tischhandtücher mitbringen, wenn ein Konzert in der Kunsthalle läuft. Wofür? Na, um sich Plätze reserviert zu halten. Die große, weite Welt kann gar nicht klein genug sein, um denen zu gefallen, die sie sich mit der Kreditkarte in der Hand zur Puppenstube machen.

Einer Puppenstube, in der das Fremde dann allerdings - auch vor der eigenen Tür - keinen Platz hat. Es sei denn vielleicht bei einem Maoriritualtanz von barfüssigen Tourismusstudenten in der Hotellobby von Hastenichgesehen. Man fragt sich instinktiv, in welche Richtung gehen eigentlich die viel beschworenen Flüchtlingsströme? Und wer kümmert sich um die mit ihrem Plastikgeld in allen schicken Elendsländern dieser Welt gestrandeten Wirtschaftsflüchtlinge aus Europa, die so stolz auf ihr Englisch sind, dass sie es sich am liebsten von einem Polynesier auf die Stirn tätowieren lassen würden: I speek all Speek in all part I seek