Endzeitphilosophie

Es gab eine Zeit, in der ich die Philosophie mochte. Sie ging auf das wesentliche los, während doch die Natur- und Gesellschafts-wissenschaften sich in mehr oder weniger modernen Details ergötzten. Zeitloses Denken von Plato bis Adorno. Philipp Hübl erinnert mich an diese Zeit. Und ihre geradezu naive Gläubigkeit an große Namen, die breite Pfade in einen undurchdringlichen Dschungel hieben. Schule nennt man das, wenn jemand ehrfürchtig Kants Kategorien erläutert. Die sieben Todsünden sind diese, die sieben Pflichten sind jene, die sieben Weltwunder sind solche und die sieben Gebote sind zehn. So macht es dieser Hübl in einem Kapitel, das die Botschaft ankündigt zu klären, wie man mit dem Skalpell philosophiere. Im Hintergrund posaunen die Fanfaren, denn soeben hat sich der Philosoph der blinden Naturwissenschaften entledigt, die ja nur an der Oberfläche kratzten, und jetzt das. Die erste dieser sieben kritischen Fragen (war es die Offenbarung der Johannes, an die man sich erinnert fühlt?) lautet: Was ist damit gemeint?

Ja. Hätte man schöner nicht sagen können. Die zweite Frage lautet: Was wird untersucht? Oha. Dann wird wohl die dritte der monumentalen kritischen Fragen der Philosophie lauten: Wo ist meine Brille? Es geht tatsächlich so weiter und endet damit, dass der Philosoph sein Instrumentarium ausgebreitet hat wie ein Schamane seine getrockneten Frösche, Mäuseknochen und - siehe da - unter den Fundstücken, die die Weltuhr bewegen, ist auch eine Glasmurmel aus dem Kaugummiautomaten. So legt er los und widerlegt mit der Präzision eines Neandertalers die Theorie, dass unbewusste Kaufentscheidungen richtiger als bewusste sind. Nicht deshalb, weil eine Kaufentscheidung immer unbewusst ist und lediglich die Argumente nachträglich mehr oder weniger plausibel substanziierend hinzugedichtet. Nein, sein Argument geht so: Ein niederländischer Philosoph hat die gegnerische Theorie experimentell erforscht. Also muss er nur die Arbeitsweise dieses Philosophen widerlegen, schon kippt der ganze Ansatz.

Und das tut Hübl dann mit einer Hingabe, die der weniger systematisch denkende Mathematiker vollständige Induktion nennen würde. Denn sobald dieser Holländer widerlegt ist, kann man mit ähnlichen Argumenten auch den Schweden widerlegen und den Japaner und … wenn der Leser dann noch nicht die nächsten dreihundert Seiten überschlagen hat, um im 150-Seiten dicken bibliografischen Nachweisteil zu landen, ist er sicher eingeschlafen. Nebenbei stimmt auch sein Einwand gegen den Holländer nicht, weshalb er den Umweg über die Assistentin des Holländers geht, die bereits ein ähnliches Experiment präzisierend angestellt hat und dabei auf weniger signifikante Maßzahlen stieß.

So-ha, und jetzt das Experiment höchstselbst, das des holländischen Philosophen. Er untersucht, wieviele Probanden in welchem Zusammenhang das RICHTIGE Auto kaufen. Emm. Ja. Eigentlich eher: das richtigste. Auf einer Skala von eins bis zehn, glaube ich.

Wahrscheinlich ist die Philosophie gerade deshalb am Ende, weil Philosophen sich scheuen, bei Mathematikern die formale Logik zu erlernen. Die da heißt: eine Aussage wird durch ein solides Gegenbeispiel widerlegt. Keine Aussage wird durch ein solides Gegen-gegenbeispiel belegt. Und richtige Autos gibt es schlicht nicht. Ein Ozean der wohlgeordneten Missverständnisse. Ich sehe Hübl in einem Gummiboot namens Philosophie auf einen Supertanker zu rudern. Der furcht die See unter dem Titel Wir Können Alles und lief bei den Naturwissenschaften vom Stapel. Es knallt gewaltig und nach kurzer Orientierung bescheinigt sich der Kapitän: Denen da oben habe ich es aber gezeigt. Nur bei denen da oben ist gerade keiner am Steuer, wie wir wissen.

Es gibt keine unbewussten Kaufentscheide. Das wissen wir aus der Vorweihnachtszeit. Und sie sind ganz sicher nicht richtig. Jetzt müsste nur noch jemand darüber nachdenken, was nicht richtig in diesem Zusammenhang heißt, und schon sind wir bei der Kardinalfrage der präzisen Philosophie (kritisch oder kategorisch): Was ist damit gemeint? Hä?

Dass Philosophie so wie Gedichteauswendiglernen und Topflappenhäkeln eine sentimentale Erinnerung an wirklich naive Zeiten ist.