manus manum

Heute morgen am Frühstückstisch. Ich betrachte meine Hände. Ich betrachte das Messer. Ich betrachte die Kaffeetasse. Ich betrachte das Messer. Die linke Hand ist im Nachteil. Grundsätzlich. Sie ist schwächer und weniger geübt. Außerdem liegt das Messer rechts. Und die Tasse steht rechts. Alles rechts. Der Nachteil liegt auf der Hand. Andererseits könnte die Überforderung der rechten Hand der linken zum Vorteil gereichen. Wenn nämlich die rechte Hand zur Kaffeetasse griffe, könnte die linke unbehelligt das Messer nehmen. Dann wäre die linke im Vorteil und die rechte beschäftigt.

Ich würde gerne einen Schluck Kaffee trinken, aber die Situation als solche hindert doch arg. Denn der Vorteil der linken wäre unredlich. Die rechte Hand würde sozusagen hinterrücks und arglos überrumpelt. Andererseits gliche dies nur die jahrelange Vernachlässigung ihres Zwillings aus, der seinerseits nie die Chance hatte, sich entsprechend zu erheben. Vielleicht hätte ich die Linke ähnlich fordern sollen wie die Rechte? Und da wird es komisch. Denn weist die rechte Hand nicht mit Recht darauf hin, dass sie doch die ewig überforderte ist? Und die Linke sich dauernd nur schonen durfte? Was letztlich zur selbstverschuldeten Benachteiligung führte?

Wie ich es auch handhabe, sie belauern sich gegenseitig und gönnen sich nichts. Und ich würde doch so gerne einen Kaffee trinken. Ich betrachte die Tasse, ich betrachte das Messer, ich betrachte die Hände. Sie zittern. Möglicherweise vor Wut. Vor Anspannung sicher. Beide sind sie auf dem Sprung. Es ist noch nicht zu erkennen, ob sie zur Tasse greifen werden oder zum Messer. Es ist noch gar nichts raus. Ein Konflikt liegt in der Luft. Dort lag er wohl unbeachtet schon immer. Und jetzt ist er akut. Er wird immer akuter. Ich blicke zur Tasse, vermeide, das Messer anzusehen. Die scharfe Klinge, den unerbittlichen Stahl, den handlichen Griff.

Einladend. Spüre ich, wie sich die Schulter entspannt? Der Körper alle Vorbereitungen trifft, um zum Kaffee zu greifen und das Frühstück zu genießen? Wie könnte ich? Sind doch beide Hände unzufrieden. Ich muss da schlichten. Aber was? Kann ich Rechts Recht geben wie immer oder diesmal Links oder irgendwie beiden? Im Augenwinkel sehe ich sie verkrampfen und sich an das Messer tasten. Unmerklich nur, doch wird die Kraft spürbar, zumindest für mich. Denn ich muss dagegen halten, muss sie auseinander halten, muss sie auf dem Tisch halten. Muss die Tasse fixieren und den Kaffee darin und die Aussicht darauf.

Doch ist nicht auch der heiße Kaffee eine Waffe? Könnte nicht eine Hand zur Tasse greifen und die andere verbrühen, bevor die andere sich mit dem Messer am Angreifer rächt? Und würde die andere dann nicht besser der Attacke zuvor kommen? Oder sollte es bleiben wie immer und die dominante Hand der unterlegenen weiterhin drohen, sie vom Arm zu schneiden, falls sie sich nicht in ihr Schicksal fügte. Sie belauern sich, die beiden. Ich weiß nicht, was sie vorhaben, doch scheint es diesmal Ernst zu sein. Eine übermächtige Kraft zieht die beiden geradezu magisch zum Messer hin. Ich träume noch immer von einem friedlichen Kaffee.

Doch Illusion. Ich sehe es vor Augen, wie eine von beiden nach dem Messer greift, der anderen zuvorkommt, die andere verzweifelt noch die Tasse fasst, doch schon geschieht das Grauen und eine trennt die andere vom Körper ab. So wird es kommen. Ich muss was tun. Hilfe holen? Oder vielleicht ein zweites Messer? Oder zwei stumpfe? Nichts jedenfalls kann man nicht tun. Man wird in diesem Konflikt nach Jahren der Ignoranz und Untätigkeit endlich Position beziehen müssen. Doch für wen und für was? Für gesunde Hände und Weltfrieden, Heiterkeit und - tja - einen Schluck heißen Kaffee?

Rechts hat meine Ablenkung genutzt und unbemerkt zum Messer gegriffen. Mit übermenschlicher Kraft zwinge ich sie nieder und sorge dafür, dass sie die Waffe auf den Tisch zurück legt. Sie zieht sich grollend zurück, ballt sich zur Faust, verkrampft und kriecht demütig in ihre Ausgangsstellung. Die linke Hand nutzt die Verwirrung aus, hebt sich von der Platte und will über die Rechte greifen, doch auch sie zwinge ich an ihren Platz zurück. So belauern wir einer den anderen sprungbereit und schreien irgendwie alle um Hilfe. Das spüren meine Hände, wie machtlos ich bin. Sie wissen, jetzt geht es ums Ganze. Wer jetzt siegt, wird Sieger sein auch über mich. Nicht mehr Kaffee apportieren und die andere maniküren, sondern uneingeschränkt herrschen über den Frühstückstisch. Und über das Badezimmer. Über die Geschwister. Und über die Welt.

Wie es ausgegangen ist, schreibe ich vielleicht morgen. Wenn ich noch kann.

Denke ich, und dann geht alles rasend schnell. Die Rechte greift zum Kaffee, stürzt den Becher um, die Linke hat das Messer im Griff. Ich schreie au und spüre, wie sich die Klinge durch das rechte Handgelenk sägt. Blut mischt sich auf dem Tisch mit Kaffee. Ich schlage der Linken das Messer weg. Die Rechte schnappt danach, die linke umklammert das rechte Gelenk, um die gerechte Rache zu verhindern. Einen Moment lang wirkt es harmonisch wie zwei Geschwister, die sich zur Hilfe kommen. Die eine ist verletzt, die andere stoppt den blutigen Fluss. Doch gleich darauf hat sich die verletzte losgemacht und sticht auf die linke Handfläche ein. Die zieht sich zurück, schnappt nach der Klinge und bekommt einen schlimmen Schnitt ab. Ich kann jetzt nur noch mit dem Mund dazwischen gehen. Doch auch dafür ist es längst zu spät.

Rechts hat Links mit der Klinge am Handwurzelgelenk erwischt und bis auf den Knochen eine tiefe Furche ins Fleisch gepflügt. Die Sehnen liegen offen. Ungehindert ergreife ich für die Geschundene Partei und reiße mit dem Mund die Messerklinge von ihrem blutigen Werk weg. Noch kann die linke Hand fassen. Sie nutzt die Überraschung und hat die Tasse aufgenommen. Mit wütender Geste prügelt sie den Angreifer blau. Die rechte Hand weiß sich der Attacke kaum zu entziehen. Finger schwellen an, winzige Knöchelchen brechen. Die Rechte wird wie mit dem Hammer bearbeitet. Einschreiten kann ich kaum. Nur die Messerklinge heben, sodass die Linke sich bei ihrem Schlag auf die Rechte selbst aufspießt. Die Klinge steckt im Daumenballen und sie gibt Ruhe.

Die Tasse kugelt über den Tisch. Kaffee wässert die rötliche Suppe, die aus beiden Händen sickert. Wir sind jetzt alle angeschlagen. Da stürzt die Tasse zu Boden und zerspringt. Der heilsame Reflex, der folgt, lässt mich für einen Moment meine Probleme vergessen, ich beuge mich unter die Tischplatte und greife nach dem Scherben, der mir prompt auch die rechte Hand zersägt. Vor aufgerissenen Augen beobachte ich, am Tisch zurück, wie die Linke fürsorglich einen Splitter aus der Rechten pult, ihn dann wütend zu Boden wirft. Doch vorher noch, fast mechanisch schlitzt die helfende Hand mit der steinzeitlichen Klinge auch der rechten Hand den Daumenballen auf, wie um sich hämisch zu rächen.

Die Verletzte greift nun endgültig zum Messer und rammt es dem Gegner tief ins Fleisch. Ich bemerke, dass es von der Lippe tropft. Das Messer mit dem Mund aus der Wunde zu entfernen, ist eine garstige Vorstellung, die mich weinen lässt, während die Linke mit der Klinge im Fleisch nach der Rechten fasst und sie hemmungslos auf der Tischplatte bewusstlos schlägt. Dabei löst sich die Klinge und gleitet zu Boden. Dorthin, wo die Tasse liegt und ein Sumpf von Blut. Ich atme schwer. Das Telefon klingelt. Ich glaube, ich gehe nicht ran.