ALLöF WIRD GUT - 2-Takt

Um elf Uhr dreißig hänge ich am Telefon und erkundige mich bei meiner Anwältin nach dem Stand der Dinge. Da sie so viel zu tun hat, wahrscheinlich mit anderen Gefangenen, die rund um die Welt zu Unrecht inhaftiert sind, ist sie schwer ans Telefon zu bekommen. Sie nennt mir meinen Namen so, als hätte ihr das Sekretariat den Anrufer gerade erst am Telefon vorgestellt, und sie erinnere sich auf die Schnelle nicht, welcher Fall das noch mal …?
Mein neuer Laufzettel jedenfalls ist nicht auf ihr Betreiben hin zustande gekommen, und das mit dem ⟩erst mal nichts tun⟨, war wörtlich gemeint. Sie hat buchstäblich vor, meine Akte im Regal zu lassen, bis ein Untersuchungsrichter initiativ wird und das Beamtenmikado vergeigt. Im Strafrecht ist derjenige, der irgendwas tut, grundsätzlich auf dem Weg des Verlierers.
Ich muss an die Fernsehserien denken, in denen die ausgebufftesten Gangster ihre Haftrichter mit der Ich-will-mit-meinem-Anwalt-reden Peitsche geißeln. Dann fährt ein Porsche vor, ein jüdischer Brillenträger schlappt durchs Revier, unterm Arm eine leere Tausenddollar Ledermappe, und den Polizisten bleibt nichts, als sich bibbernd auf den Pissoirs einzuschließen, bis das rechtsgelehrte Frettchen mit seiner fetten Beute den Bau wieder verlassen hat. Vergewaltiger, Bombenleger, Serienkiller. Alle auf freiem Fuß. Nur ich sitze beständig.

Vielleicht ist im Einzelfall auch mal eine halbe Million in der Mappe, frisch vom Kautionshai oder im Zweifelsfall vom Blockpaten, dem das Frettchen hörig ist. In meinem Falle poff, nichts. Ich soll die Ruhe genießen, andere bezahlten dafür. JVA, eine Wellnessfarm, um Justizirrtümer zu kurieren. ALLöF WIRD GUT ...
... auch das mit den Zähnen:

Sie lesen hier
den Roman in Episoden

Premiumleser wissen mehr: hier für 9,99€ das Taschenbuch
Es ist mir nicht so recht gelungen, meinen Unmut über die Situation als solche auszudrücken und eine Vorgehensweise, deren Sinn mir auch nach der x-ten Wiederholung nicht einleuchten will. Schließlich kommt ein Vorschlag, der quasi noch im Rohr krepiert: »Ich könnte, wenn Sie das wirklich wollen« … leitet meine Rechtsvertretung ein … »wenn Sie das wirklich wollen« … schellt es in meinem Ohr, als wären mit diesem Schritt Konsequenzen verbunden, die sich ein Laie nicht auszumalen vermag … »ich könnte die Staatsanwaltschaft um eine Verfahrensbeschleunigung ersuchen.«
Drei Mal kurz, drei Mal kurz, drei Mal kurz. Ironie der Dinge ist, dass die Prüfung der Frage, ob eine fristgerechte Abwicklung des Verfahrens gewährleistet ist, das Verfahren an sich auf unbestimmte Zeit verzögert. Es ist besser, die Behörde nicht beim Nichtstun zu stören, sonst droht ihr die vollständige Überlastung. Zum Mittag starre ich auf mein Rührei mit Lauchzwiebeln und Grünkernsalat, schiebe zwei Gurkenscheiben über den Menüteller Marke Schulspeisung 411822 und gehe die wesentlichen Stationen meines Lebens in Gedanken durch.
Papier mochte ich schon immer, die Tatsache, dass man es zu schier unendlichen Stapeln schichten kann, an den Ecken glatt beschneiden und auf jeder Seite ein Leben abheften, eine vollständige Existenz mit allen Nöten, Sorgen, Freuden, Enttäuschungen und Glücksmomenten. Vielleicht bin ich nur deshalb nicht Beamter geworden, weil mir das Dasein im Staatsdienst zu aufregend ist. Um nicht jedes Zeitgefühl zu verlieren, sollte ich jeden Abend eine Kerbe in die Wand ritzen. Der Staatsanwalt macht es vermutlich genauso.
So schlage ich also die zweite Halbzeit des Montags tot, bin nie im Ballbesitz, kassiere aber auch keine Gegentreffer. Von meinem nächsten Gang in die Bücherei kehre ich mit einem Standardwerk über Motorentechnik zurück und lese mich in die überaus spannenden Rückladungsvorgänge des Zweitakters hinein und die Durchtriebenheit, mit der Ingenieure unliebsame Resonanzphänomene durch speziell gebogene Auspuffrohre überlisten. Mathematik, Musik und Ottomotoren, der Kosmos sachdienlich geordneter Kreativität. Mit einem Wort: Kunst. Bis spät am Abend habe ich somit geistreiche Unterhaltung und lerne noch nützliches hinzu. Was werde ich alles zu berichten und erzählen haben, wenn ich das nächste Mal auf Simon treffe! Zweitakter, ein Thema für ein ganzes Wochenende.

-- Fortsetzung folgt -- Anfang hier --