Morbus Pecuniae

Komme gerade von den Sokar zurück. Etwa 3400 km westlich von Wernes, also so gut wie am Rande der Welt, haben die Sokar einen, wie ich finde, schlechteren Ruf, als sie verdienen. Eben als Außenseiter. Sie galten schon den alten Ägyptern als Räuber. Was die negative Einschätzung der Sokar betrifft, sind viele Missverständnisse im Spiel. Unter anderem ist schon die historische Rezeption ein solches Missverständnis. Demzufolge auch alles, was auf diesen »historischen« Einschätzungen beruht. Ägypter, Griechen, Römer, wer auch immer über die Sokar schreibt, beruft sich auf diejenigen, die vor ihm bereits über dieses Volk geschrieben haben. So zieht sich das Vorurteil wie ein roter Faden durch die Geschichte. Und alle tun, was ich anfangs tat, als ich erwähnte, dass die Sokar schon unter den Ägyptern einen schlechten Ruf hatten. Im Grunde versuchen wir nur, Klischees zu bestätigen. Die Schweiz ist sauber, die Briten sind höflich, Franzosen lasziv und die Sokar … Räuber.

Ich selbst habe sie so nicht erlebt. Eine Begebenheit öffnete mir möglicherweise tatsächlich die Augen für die Tragik, die in einem Vorurteil steckt. Es ereignete sich nämlich ein seltsamer Aufruhr, als ich dort war. Eine wichtige Persönlichkeit war erkrankt. So musste sein Leiden als dauerhaftes Gesprächsthema herhalten. Bei jeder Gelegenheit fiel ein bestimmter Name in fast hoffnungslos mitleidigem Ton. Ich erinnerte mich, dass hier bei uns ein Rennfahrer lange Zeit durch die Gazetten gegeistert war, nachdem er einen Skiunfall erlitten hatte. So ähnlich kreisten auch die Geschichten über die Person in Sokar durch die öffentliche Meinung. Man verstand als Ausländer nicht, worüber gesprochen wurde, aber doch schon in groben Zügen die zugrunde liegende Misslichkeit dieser wichtigen Person. Nach mehrfachen Rückfragen klärte mich mein Gastgeber auf. Der Mann, der hier nicht genannt werden soll, einer aus Sokar, war in der Tat ernsthaft erkrankt. Er hätte, hieß es wörtlich: »Geld«.

Ich musste darüber lachen. Mein Gastgeber fragte mich also, warum ich über das Leid eines aus Sokar lachte. Darauf versuchte ich mich zu entschuldigen. Doch fiel es mir sehr schwer, ihm, der nur ein gebrochenes Englisch verstand, zu erklären, dass in Deutschland, woher ich käme, »Geld« keine Krankheit, vielmehr ein Zahlungsmittel sei: »Money« eben. Ich erntete noch mehr Unverständnis und ließ es nach mehrfachen vergeblichen Anläufen bleiben, das Missverständnis aufklären zu wollen. Diese Krankheit scheint nämlich auch unter einem dem englischen »Money« phonetisch sehr ähnlichen Namen bekannt zu sein: Mahuni?? Erklärungen halfen also wenig weiter. Zumal, wenn man selbst nichts versteht. Sokar ist wohl nicht zu Unrecht ein ewiges Rätsel.

Inzwischen allerdings, mehrere Wochen nach dem Vorfall, begreife ich, nachdem ich nach Hause zurückgekehrt bin, was die Grundlage unseres / meines Missverständnisses gewesen sein musste. »Geld« nämlich, meint anscheinend tatsächlich Geld. So reime ich es mir inzwischen anhand meiner Wörterbücher zusammen. Ich glaube, die Sokar meinten wirklich das, was ich scherzhaft glaubte, verstanden zu haben: der Kranke hatte »Geld«. Seit ich diese Möglichkeit in Betracht ziehe, wird mir die Sichtweise von Tag zu Tag plausibler, und ich brenne darauf, mehr über die Sokar zu erfahren. Jetzt allerdings, ich wage kaum auszusprechen, was mich hindert, fehlt mir für die Reise … hm, ja: das nötige Geld. Die Sokar würden vielleicht sagen: Er hat sich angesteckt.