Busgespräch III

Die Haltestellen liegen hier weit auseinander. Und die Erwartungshaltungen auch. Der Möchtegern-Zuhälter aus dem Nachtcafé ist kein richtiger Ausländer. Er ist nur einer von den monetären Asozialen, die die Stadt hervorgebracht hat. Ein Sohn ohne Eltern. Und jetzt ist er tot. Tätlicher Angriff mit Todesfolge für den Angreifer. Ohne Zeugen, das ist das Dilemma. Aber möglicherweise auch der Ausweg aus der ausweglosen Lage. Denn wenn dieser Kerl nicht permanent quasseln würde, könnten sie ihm nie etwas nachweisen. Der ginge ganz sauber aus der Sache. Option zwei für den ganz hartnäckigen Richter: in Notwehr erschlagen. Ich denke, ich steige mal noch nicht aus, höre noch ein wenig zu.

Er redet. Von der Kindheit. Von Freunden. Von falschen Freunden. Von Eltern, die keine sind. Von Lieblosigkeit. Von mangelndem Vertrauen. Von Hintertriebenheit. Von Bosheit. Von Lüge. Von Verrat. Er könnte ein Buch schreiben, ihm gingen die Themen nicht aus. Und alles stimmt. Genau so erleben wir es jeden Tag. Und wir ziehen die selben Schlüsse. Wir geben auf, misstrauen jedem einschließlich uns selbst. Wir verdienen daran. Es ist unser Job.

"Vielleicht", sage ich, "kann ich Ihnen helfen."

Der Mann vom Sitz gegenüber schaut mich skeptisch an. Intuitiv prüft sein Gehirn alles Gesagte. Hat er irgendwas ausgelassen, ich etwas missverstanden? War er nicht klar genug? Hat er die Pointe falsch gesetzt? Oder stimmt sie an sich nicht. Seine Pointe ist: Niemandem kann man vertrauen, auch sich selber nicht. Und ich fordere ihn zum Gegenteil auf: "... aber Sie müssen mir vertrauen."

"Wie?"

"Wir gehen in die Kanzlei. Sie reden mit niemandem. Auch dann nicht, wenn man Sie zwingen will. Dann erst recht nicht. Sie werden nichts zugeben, nichts abstreiten. Sie sagen einfach nichts. Den Rest erledigen wir."

Wenn man diesem Menschen eines bescheinigen kann, dann seine Konsequenz. Er schweigt. Aber sowas von. Beton ist geschwätzig dagegen. Auch der Bus quietscht und wackelt. Man hört die Reifen ächzen, das Getriebe. Man hört Vögel krähen, aber vom Geständigen mir gegenüber hört man kein Wort. Verblüffung starrt aus seinen Gesichtszügen.

Man hört auch seine eigenen Gedanken nicht mehr. Meine wollen nur eine Antwort geben auf die Frage, die erwartungsgemäß jetzt kommen muss. Jetzt. Jetzt muss er mich fragen, wieso ich das für ihn tun will. Er muss! Schon fast schmerzhaft, sich Antworten verkneifen zu müssen auf Fragen, die nicht gestellt worden sind. Ganz sicher schmerzhaft. Aber jetzt eine Erklärung stammeln? Argumentative Schwäche überkommt mich so heftig, dass ich mich wieder auf meinen Ellbogen gestemmt finde, die Knöchel unter der Nase. Im Kopf rasen die Gedanken.

Um eine mögliche Verteidigung? Nein. Der Kerl ist so unschuldig wie ein Lamm, und sauber wie ein weißes Laken geht der aus dem Gerichtssaal raus. Nicht nur in diesem Fall, denke ich. Möglicherweise sogar zweimal. Und ich denke an meine eigenen Probleme. Und ich denke, dass der Vormittag nicht besser hätte laufen können. Hätte ich im Wagen gesessen statt im Bus. Hätte ich einen anderen Platz besetzt. Wäre ich am Zoo ausgestiegen. Hätte ich die Linie verpasst. Wäre irgendwas anders gelaufen, ich hätte nicht gewusst, was ich tun soll. Hätte diese Elena heute morgen nicht kassiert, ich wäre am Ende.

Aber sie hat ... Gott sei Dank