Polar

Die Franzosen haben so bemerkenswerte (Kriminal-)Romane hervorgebracht. Immer mal wieder schwappen sie vor allem in filmischer Form über die Grenze. Den jüngeren Cineast begeistern sicher actiongeladene Filme wie 'Shoot em up', 'Banlieu 13' oder 'Transporter', 'Fluchtpunkt Marseille' und so weiter, aber Taverniers Movies 'Der Saustall', 'Der Uhrmacher von St. Paul' … haben es genauso in sich, doch was haben sie in sich?

Es ist eine grandiose Mischung, wie ich finde, von sozialer/politischer Brisanz, Lokalkolorit und Raffinesse in Wendungen und Erzählweise.

Im Uhrmacher von St. Paul beispielsweise ist die Sache sicher Simenon geschuldet, der die drei Säulen des Polar so meisterhaft beherrschte, doch auch Fred Vargas und Co. haben mittlerweile ihren festen Platz in der verfilmten Krimilandschaft gefunden. Sie erscheint mir persönlich als eine ganz besonders würdige Nachfolgerin Simenons. Zuletzt habe ich noch über eine andere Kollegin gestaunt, Manotti und die filmische Adaption 'Staatsfeinde' ('Roter Glamour'), in der ganz unaufgeregt Strukturen untersucht werden, die das politische Geschehen bis ins tägliche Leben hinein bestimmen, dabei grandiose Kriminalplots und wundervolle Figuren.

Wie kommt es, dass sich der französische Polar so viel leichter tut, die vertikale Durchdringung der Gesellschaft mit Gewalt zu beleuchten, als das beispielsweise der deutsche Krimi tut? Wir sind ja doch entschieden entweder politisch oder eben nicht, aber selten so leidenschaftlich an den Übergängen beider Extreme interessiert. Man hat den Eindruck, dass die Franzosen in dieser Hinsicht einfach reifer, klarer, früher sind. Dass sie Wurzel und Gemüse nicht so strikt trennen wie wir.

Man muss dazu auch mal historisch anmerken, dass Frankreich sehr häufig Protagonist in Entwicklungen war, die sehr viel später dann andere zu ihrem Problem erklärten, mit ihren Lösungen bearbeiteten und somit auch mit ihrer fiktionalen Aufarbeitung traktierten. Vietnam zum Beispiel. Da mischte Frankreich schon mit, als die USA noch unter ihren Schauspielern Kommunistenjagden veranstaltet hat. Algerien kann man gut auch als Vorläufer der modernen Ölschlammschlachten am Golf betrachten. Kolonialismus, Befreiungskriege und Verfassungen, Kanonenbootpolitik und Wirtschaftskriege, wer hat's erfunden? Sicher nicht die Schweiz. Und die Statue auf Long Island ist nicht in den Staaten gegossen worden.

Frankreich hat sicher schon früh Entwicklungen im kleinen Stil bearbeitet, die später dann auf Weltniveau zum Big Business mutierten. Und diese kleinen Modelle beherrschen ihre Autoren, wie ich finde, perfekt. Simenons Uhrmacher ist ein selbstähnliches Beispiel dafür. Das Uhrwerk ein kleines Modell des Sonnensystems, Taverniers Verfilmung mit Philippe Noiret in der Hauptrolle sicher ein Geniestreich. Ein Attentäter und sein Vater - oder umgekehrt ein Vater, der seinen rebellierenden Sohn verstehen lernt.

Gerade las ich einige Werke von Manchette und bin mal wieder platt, wie der Kerl erzählt, und auch was er erzählt. Gut, da ist von FLN die Rede, von Simbabwin und Warlords aus Zentralafrika, den politisch verirrten Köpfen der Krawallbrüder aus einer nur dem Schein nach mit politischen Idealen verbrämten Täterschaft, doch wenn man stattdessen veraltete gegen moderne Floskeln austauscht, IS, Georgien, und so weiter, Diamanten gegen Gas und statt Maschinengewehren Panzer übersetzt, dann hätte man schon fast einen journalistischen Exkurs der latenten Gewaltstrukturen, die brandaktuell zu so unverständlichen Exzessen wie dem jüngsten in Paris geführt haben. Was haben wir dagegen aus dem Oktoberfestattentat gemacht? Eine dreißig Jahre zu spät kommende Filmproduktion.

Kann zu den Franzosen nur sagen: Hut ab