Revanche ist ein undankbarer Plot

Ein Revancheplot läuft im Grunde über zwei Stationen. Der Held ist Opfer und wird zum Täter. Der erste Teil (Opfer/der Umstände?) dient hauptsächlich der Legitimation des zweiten, denn dort muss die Erzählfigur als Täter dennoch die moralischen Bedürfnisse des Lesers befriedigen. Er muss gerechete Rache nehmen, ein Konstrukt von wenig griffiger Konsistenz. Gerechte Rache gibt es nicht.

Was wird also die Geschichte erzählen? Sie schildert die Wandlung eines Menschen von Gut zu Böse oder von Angepasst zu Ungezwungen. Sie schildert im Grunde den Niedergang der moralischen Gesinnung oder die Befreiung des Individuums vom Tabu.

Das funktioniert ganz gut bei Erzählern, die ihre Figuren nach der Geschichte glücklos verwerfen können. Ein Dorfpolizist in Zentralafrika, der am Ende seiner Wandlung von der Geliebten als Barbar beschimpft verlassen wird, ist eine solche grandiose Figur. Sie bleibt nach der geschilderten Wandlung als Denkmal der Geschehnisse auf dem schwarzen Kontinent zurück wie ein Urwaldbaum, den keiner mehr zu Gesicht bekommen wird. Man weiß, dass es ihn gibt und spinnt in Gedanken nur kurze Wegstücke seines Lebens weiter. Die bekannte Märchensituation. So lebten sie (un)glücklich bis ...

Besonders dicht werden solche Geschichten, wenn der Held schon zu Beginn das gesamte Ensemble der tabulosen Eigenschaften in sich trägt und in der Handlung schließlich nur zur Entfaltung bringt. Er/Sie wird im Spiel gezeigt beispielsweise. Dort lässt sich modellhaft beleuchten, was in seinem/ihrem Charakter verborgen auf Entfaltung wartet.

Geschichten, die eine Figur nicht verwerfen können, sind in dieser Hinsicht schon eingeschränkter. Ein Wesenszug muss bleuchtet werden, der sich am Ende mit dem nativen Charakter des Geschichtenbeginns verträgt. Runde Geschichten, von denen Leser erwarten, dass sie ihn wie ein Karussell dort aufnehmen, wo sie ihn wieder absetzen werden, Serienhelden werden so bedient.

Solche Geschichten zu schreiben, ist eine wirkliche Herausforderung. Sie gleichen dem Versuch, ein Ei auszublasen, ohne die Schale zu beschädigen; einem zum Zeitvertreib angestellten Gedankenexperiment wie einer jener Geschicklichkeitsübungen, in denen Gegenstände in Flaschen gesteckt und wieder heraus befördert werden sollen, deren Umfang größer als der Flaschenhals ist.

Leser und vor allem Zuschauer entwickeln glücklicherweise gegenüber solchen Plots und ihren Erfordernissen eine sehr große Toleranz. Das Kino zeigt haarsträubende Expositionen, der Besucher nimmt sie hin. Manche Serien waten durch einen derart quälenden Sumpf von anfänglichen Rechtfertigungen, dass der Zuschauer des Zuschauers sich fragt, was den ersten bei der Stange hält. Ganz schräg scheint es zu werden, wenn dieser Sumpf erst am Ende der Geschichte mit einer nachträglichen Rechtfertigung begründet werden soll.

"Ich habe nämlich damals untätig zusehen müssen, wie Mutter und Kind vergewaltigt, zerstückelt und ermordet wurden, war an einen Stuhl gefesselt und hatte Streichhölzer unter den Augenlidern ..."

Manchen gelingt es, manche scheitern. Es scheint dennoch Konsens zu sein, dass derartige Konstrukte laufen können, eben weil das Bedürfnis des Rezipienten nach gerechter Rache unstillbar sein muss. Es gibt nur wenige Grundstrukturen im narrativen Bereich, Aufklärung von Zusammenhängen, Liebe, Rettung in letzter Sekunde ... die meisten dieser Strukturen bringen das äußere Geschehen mit dem inneren Empfinden wieder in Einklang und besänftigen so Leser und Leserin über den Buchpreis.

Aber was ist, wenn man seine Leserschaft mit einer Rachegeschichte quält, die diese Besänftigung nicht leistet? Moby Dick.

Aufgepasst?

Man muss die Hauptfigur verschieben. Man schiebt uns eine Erzählfigur unter, die den Schmerz der eigenen Erniedrigung zum Rachelüsternen aus einem gewissen Abstand betrachtend ertragen hilft. In diesen Geschichten wird der Erzähler sich seinem Objekt (der Hauptfigur) unwillentlich annähern und muss, was die Geschichte lesbar macht, sein Seelenheil durch eine bewusste Entscheidung gegen das Übel der Rache in Sicherheit bringen. Der Zauberbesen wird berührt und losgelassen. Nicht ohne eine bleibende Beängstigung zu erzeugen, dass die Erzählfigur irgendwann in ferner Zukunft vielleicht doch dem Ur-Bösen erliegen könnte.

Ein Tabu wurde gebrochen und notdürftig gekittet, und uns wurde davon berichtet, welche Nöte mit dem Wissen um das Übel verbunden sind.

Diese Geschichten sind wirklich filigran. Ich stecke etwa in der Hälfte.