Marburg

Die Criminale 2016 beginnt. Übermorgen werde auch ich im Marburger KFZ lesen. Gemeinschaftlich, was mich freut, mit Kathrin Lange und Glauserpreisträger Richard Birkefeld. Wir lesen aus der Criminale-Anthologie 'SOKO Marburg-Biedenkopf', wie sich das für eine Criminale gehört. Und wie sich das gehört, sollte ich meine Nase ins Buch stecken und die Lesung vorbereiten.

Aber das Wetter ist schlecht. Wenn es gut wäre, stünde statt schlecht gut in der Begründung, was genauso gut passte wie schlecht. Was ist nur los?

Kopf voll. Die Dakar hat ein Rollenlager im Lenkkopf. Das ist eine Art von Kugellager, in dem statt der Kugeln Rollen liegen. Sie sind sternförmig auf einem Kegel aus Stahl angeordnet und ein zweiter Kegel aus Stahl liegt obendrauf. Die beiden Stahlkegel stützen Unterseite (Rahmen) und Oberseite (Lenker) bzw. umgekehrt (es gibt ja zwei) der Lenkung im Kraftrad, pressen sie gegeneinander und ermöglichen so gleichzeitig Beweglichkeit und Stabilität. Kurzum: so hält man die beiden Räder im Zweirad zusammen und gleichzeitig lenkbar.

Ein Rollenlager hatte auch mein erstes Rennrad. Diese Lager sind giftig, weil sehr schwer einzustellen. Mein damaliges Stronglight-Lager verlangte alle tausend Kilometer etwa nach neuer Justierung, und jetzt geht mir die Frage durch den Kopf, ob das bei der BMW auch so ist. Im Gelände schlägt so ein Lager sich rasant aus. Ich habe es kürzlich wechseln lassen. Damit sind wir bei den Reifen, die sich rasant ablaufen, und dem Kettenkit, dem ich auch noch nicht vollständig über den Weg traue.

Techtalk on: Die Dakar ist schwer und zu lang übersetzt. Sie holt ihre Kraft aus nur einem Topf mit 650 ccm. Vollgetankt in eine enge Kurve, die Drehzahl zwingt in den ersten Gang, was beim Motorrad nur durch die grüne Leerlaufpassage geht, beim Einrasten drückt dich die bestialische Motorbremse über den Lenker. Hoher Schwerpunkt, da geländegängig, Reifen nur bis 45° profiliert, danach dann die Kante, auf der man sich durch die Kurve hobelt. Griechischer Stierkampf. Techtalk off.

Damit sind wir in Troja. Schönes Reiseziel, allerdings eher imaginiert als real zu ersteuern. Auch die Schauplätze des 100-Jährigen Krieges liegen momentan noch zu weit weg. Zwei Tage am Stück gurken - mit einer Lesung im Nacken? Geht nicht. Troja lag bei den Dardanellen. Als erfahrene ehemalige Regalverräumkraft weiß ich, wo die Dardanellen liegen, zwischen Thunfisch und Sardellen jedenfalls nicht, sondern bei Thrazien. Auch das ist so ein stehender Begriff. Nimm dir eine unbeschriftete Karte der Alpen und zeige aufs Matterhorn. Danach dann Thrazien im Ostmittelmeer und abschließend Birma auf der römischen Tabula Peutingeriana. Nicht einfach.

Thrazien fand ich, Troja auch, doch nicht den Grund, warum Homer Troja heilig nennt. Das könnte man sicher vor Ort mal klären. Wäre auch ein schöner Anlass, Türkisch zu lernen und sich ausnahmsweise mal mit etwas anderem zu befassen im kulturellen Gesamtzusammenhang als Kurden, Syrern, Menschenrechten und NATO-Basen. Doch da ist die Sache mit dem Lenkkopflager und den abgefahrenen Reifen auf dem Autoput. Existiert der noch?

Der 100-Jährige Krieg übrigens zeigt, dass England seine größten Siege durch systematischen Bruch der jeweils gültigen Kriegsrechte errang - der Langbogen ist wenn man so will die Autobombe des Mittelalters. Nun, und die Armada hat man auch nicht durch geschickte Navigation ausmanövriert, eher durch Ausmanövrieren des Seerechts zu Ende navigiert. Troja konnten die Briten nicht in Schutt und Asche legen, denn den Untergang der heiligen Stadt erreichte bekanntlich ein Betrüger, der einer anderen Seefahrernation entsprang. Kurz vor Erfindung der Demokratie.

Die größte ist übrigens Indien. Über das sich Pakistan wie ein Mantel breitet, den Sankt Martin in zwei Teile schnitt. Der Abschnitt heißt Bangladesh, was als Reiseziel für mein Lenkkopflager auch wieder nicht in Frage kommt, weil zuviel Kriegsgebiet zwischen hier und da zu liegen kommt. Landminen machen sicher Dellen in Reifen, und mehr als zwei Tage Sattel sind vor einer Lesung in Marburg sicher nicht gut.

Gestern konnte man den Jupiter gut beobachten, also vom griechischen Standpunkt betrachtet Zeus. Der kungelt gerade mit dem Mond, was die Frage nach der zeitlichen Einordnung der Nomenklatur in unserem Sonnensystem aufwirft. War der Jupiter schon zu Zeiten der Griechen ihr Zeus? Dann fragt sich, unter welchem Stern Apoll beispielsweise (Mars) seinen Achill an die Dardanellen lockte. Und was es mit seiner Ferse auf sich hat, Reifen und Ketten und so weiter. Modern gesprochen.

Das 'geniale Gedächtnis' von Hannah Monyer und Martin Gessmann verspricht im Untertitel zu erklären, 'wie das Gehirn aus der Vergangenheit unsere Zukunft macht'. Ich komme gerade nicht auf den Namen von dem ... hm ... Erich Kandel. Wie lange kann sich ein Autor eines Buches über das Gedächtnis davon abhalten, Kandel zu zitieren? Länger als der Leser die Luft anhalten? Ich habe nahezu alles, was ich bei Kandel las, vergessen. Was sagt uns das?

Daß man mit einer Lesung vor der Brust locker einen halben Tag mit Gedächtniswerk in Matsch verwandeln kann. Ich war übrigens mal in Marburg. Mit dem Motorrad. Es hat geregnet.