ein fetter Happen

Wenn man die Frage in seinen Freundeskreis wirft, wie am leichtesten eine weibliche Heckenbraunelle von einem männlichen Feldsperrling zu unterscheiden ist, wird kaum eine Antwort kommen. Es sei denn, es wäre ein ornithologisch Interessierter anwesend, der mit einer Rückfrage käme wie: Warum? oder einem umfassenden Statement der Art: an der Größe, den Streifen und der Schnabelform.

Aber es gibt Themen, die jeder zu beherrschen glaubt, in denen jeder sich zu Hause fühlt und jeder eine Meinung hegt. Ich habe ja schon darüber gesprochen. Fußball zum Beispiel, Autos und Hunde. Eine Frage der Art: Wie kriege ich den Hund dazu, mir morgens die Zeitung zu apportieren? wird mit absoluter Lebhaftigkeit diskutiert werden auch unter Zeitgenossen, die nie ein Haustier hatten und ihr Wissen über Tierpflege aus Kindersendungen schöpfen.

Spannend wird das ganze, wenn es technisch wird. Autos sind so sehr mit dem abstrakten Begriff der eigenen Kompetenz verbunden, dass egal wer mit welcher Befähigung in welchem Stadium der Alkoholisierung oder Ernüchterung, ob weiblich oder männlich sofort eine Meinung parat zu haben hat auf Fragen wie: Kann mir jemand sagen, warum mein Motor stottert, wenn er kalt ist? Da schwingt schon eine solch suggestive Aufforderung zur Antwort in der Frage, dass sie auch umformuliert lauten könnte: ... oder ist hier einer anwesend von der Sorte unzurechnungsfähiger Verkehrsteilnehmer, die selbst das nicht wissen?

Literatur ist so ein Thema. Eine Frage, die so harmlos scheint wie: Hast du den neuen ... gelesen? kann schon eine hinterlistige Falle sein, gestellt zum Zweck, den Adressaten als kulturlosen Idioten hinzustellen. Man MUSS antworten, am ungeschicktesten mit: Nein. Passende Retouren sind: Ich kam noch nicht dazu, denn 'Zettels Traum' nimmt mich derzeit sehr in Anspruch. Oder: Diese manirierte Literatur enttäuscht mich jedesmal, ich kam nur bis Seite 120, dann hab ich es aufgegeben. Noch besser: Ich fand ihn nicht so gut wie die dreiunddreißig Vorgänger, von denen der dritte, apokryphe Band kaum bekannt ist. Rückfrage dann: Den kennst du doch sicher?

Gespräche über Kunst und Literatur sind Scharmützel, in die man nicht ungepanzert ziehen sollte. Dementsprechend lebt es sich als Privatautor. Man kann zu Weihnachten über eine Scheune sprechen, deren marodes Dach man als Dachdecker mit Solarzellen hergerichtet hat, als Installateur über die Dichtigkeit der neuen Plastikklebeverfahren, als Elektriker über den Wert und Unwert von Energiesparlampen im Hinblick auf die durch die Impedanz erzeugten, für das E-Werk schädlichen Phasenverschiebungen, aber man kann nicht über Erfolg oder Mißerfolg, Aufbau, Figurenwelt und Hintergründe seiner Geschichten sprechen, wenn man Schriftsteller ist. Das liegt daran, dass man als Autor derjenige ist, der am wenigsten darüber weiß.

Wer es nicht glaubt, sollte es ausprobieren. Schreiben ist ein einsamer Job.

Nun, da das geklärt ist, zur Krone der professionell-ecritorischen Klugscheisserei, der Allerweltsweisheit: Du hast es dir ja schließlich selbst so ausgesucht. Wuha! Welch eine Monumentalerkenntnis wuchert hinter dieser Hecke! Du hast als Autor quasi, wenn nicht für Ewigkeiten verschissen, dann doch die Bedingungen deiner Arbeitswelt selbst geschaffen.

Sag das mal einem Schornsteinfeger, wenn er auf ein vereistes Dach steigen muss! Am nächsten Tag liegt ein Schreiben in deinem Kasten, das dich über die Verkehrssicherheit deines Dachstuhls und der berufsgenossenschaftlichen Notwendigkeit einer Sanierung informiert, nebst Kostenvoranschlägen im Gegenwert eines Mittelklassewagens.

Man kann diesen Satz auch einem Obdachlosen sagen, wenn man Neonazi ist, einem Polizisten morgens um vier im Regen, einem Einwohner des Gazastreifens oder einem französischen Milchbauern auf einer Protestkundgebung gegen Billigimporte. Die Antwort wird postwendend kommen. Möglicherweise in Form einer schnell sich nähernden Faust. Und anschließend dunkler Stille.

Wieviele Schriftsteller kenne ich inzwischen gut genug, um sagen zu können, dass keine/r von ihnen sich das Schreiben 'ausgesucht' hätte: Hunderte?! Es zieht sie an die Taste wie den Seemann aufs Meer. Tja, und dann schwimmst du in deiner Nußschale auf hoher und tiefer See mit den Haien und denkst über die Formulierung nach: Du hast es dir schließlich selbst so ausgesucht. Manchmal denke ich, es ist genau umgekehrt. Die Haie schwimmen in der Hoffnung auf fette Beute um dich herum und suchen aus, was ihnen mit Rücksicht auf deine eigene Gesundheit möglichst entgeht.