der Wort - Wert

Ich hab mir mal die Frage gestellt, was ich eigentlich so produziere. Welchen Wert das hat? Sagen wir mal, jemand dächte beim Anblick zerschundener Hände darüber nach, ob Goethe mit seinem Faust erfolgreicher war, als hätte er – beispielsweise – im Supermarkt um die Ecke Joghurts sortiert. Der Wert des Wortes hat sich gewandelt. Klar, das hängt mit den Produktionsmitteln zusammen. Drucken und Schreiben kann indische Spammaskiene fur Onkel Geld erben, wenn zahlen in Konto Liechtenstein Nummer jetzt. Und seltsamer Weise bringt das auch was ein. Anders als das professionelle Schreiben. Im Schnitt. So muss man leider sagen.

Reinhard Jahn, selbst Autor von Kriminalromanen (H.P. Karr) und einer der Macher der telefonischen Mord(s)beratung im WDR fällt zum Thema Wortwert die Anekdote ein, die man sich über Tom Wolfe – glaubt er - erzählt:
“Die Herausgeber eines Studentenmagazins schrieben an Wolfe: ‘Mister Wolfe, wir schätzen und lieben Sie und würden gern etwas von Ihnen veröffentlichen. Jetzt haben wir aber gehört, dass Sie pro Wort honoriert werden - und zwar mit einem Dollar pro Wort. Wir haben deshalb gesammelt und schicken Ihnen anliegend einen Dollar - wenn Sie uns dafür etwas schreiben könnten?’
Und Tom Wolfe schrieb: ‘Thanks’“

Nun, da R. Jahn bereits eine Geschichte für einen Dollar vorgelegt hat, frage ich den Experten im Stegreif-Interview: „Wieviel kostet denn in Deutschland durchschnittlich ein Wort? Im Vergleich zu einem motorbetriebenen Hochentaster z.B.“

Antwort R. Jahn:
„Das willst du gar nicht wissen, Roger.
Ich komme gerade von einer Kurzrecherche vom Schreiberstrich im Internet zurück: Man ist mit einem Eurocent pro Wort noch gut bezahlt. Etwa für billige Erotik-Stories oder ‘Kundenbewertungen’ für Hotels, Bordelle oder Gaststätten.“

So sei es. Wie es eben ist.
1 Cent. Drei Wörter kosten so viel wie ein Schnapspinnchen Benzin: „Wählt sie ab!“ ist eine 1-Cent-Phrase. Wenn sie jemand kauft. Das kennen wir vom Scrabble. Auch da wird man pro Wort bezahlt. Satzzeichen sind umsonst, man könnte auch sagen: vergebens.

Frau Klein, Schriftstellerin im Club der Sinne und Isadorra Ewans für ihre Fans sagt dazu: das Semikolon stirbt aus. Aber was zum Teufel ist ein Semikolon? Griechisch ein halber Punkt. Und wie sieht sowas aus? Mathematisch formuliert: Nehmen Sie etwas, das aus Nichts besteht und dann entfernen Sie die Hälfte! Klarer hätte man eine Honorarabrechnung für Schriftsteller auch nicht umreißen können. Manche dieser Dokumente sind ein zweiseitiges Nichts, gefolgt von der einstelligen Gesamtsumme in Eurocent. „Der Betrag wird mit Ihrem Guthaben verrechnet.“ Man hätte auch schreiben können (oder in Stein meißeln): „Haste mal ne Mark?“ – 4 Worte, 4 Cent.

Glücklicherweise gibt es für uns Erfolgsautoren auch die sensationellen Einzelfälle, in denen das Schreiben zu einem Mysteriosum – nicht nur für uns, sondern auch für die Leser – wird und uns die Leser mit Bestsellern segnen. Das freut einen. Aber die Wüste dazwischen ist unendlich dürr, und da vertrocknen viele Worte zu Hülsenfrüchten.

Worte sind in unserer Welt das Papier kaum noch wert, auf dem sie geschrieben werden. Wobei man sich fragt, wie Inhalt und Wertigkeit der Worte zueinander in Beziehung stehen, denn manche Stilblüte (hier werden Sie geholfen, ich bin doch nicht blöd, nichts ist unmöglich, wir machen die billigen Preise) haben, um einen befreundeten Geschäftsmann zu zitieren, ein Scheiße-Geld gekostet. Das Wortgefüge leiste ich mir mal im Sinne der Anschaulichkeit.

Die feine Welt des feinen Wortes, wo es nicht mißbraucht wird, um ein Nichts zu einem Universum aufzupumpen, hat ja auch mehrere Facetten. Die Kunst schreibt ja nicht nur Bücher, in denen teuflisches geschieht. Was ein Wort in der Realwelt kostet, beantwortet Sinje Beck von becktext mit einem Link und der Gebrauchsanleitung: „Was da drin steht, kann man getrost durch 3 teilen ...“, denn „nirgendwo wird so viel gelogen wie bei Umfragen zu Geld und Sex.“

Nun stelle ich mir die Frage, ob nicht auch die Umfragen bezahlte Umfragen sind, denn wer würde für Geld nicht lügen? Wer sich in der Branche endgültig frustrieren will, kann hier dann auch mitmachen und Ergebnisse abrufen.

Das alles ist für einen Nachmittag doch recht erschlagend. Zahlen sind ja schon immer gegen uns gewesen. Grundsätzlich. Und das Komma, vom Schreibaufwand her knapp zwei Drittel eines Semikolons, also weniger als ein halber Punkt, das Separee, das Reich und Arm zu trennen pflegt, steht grundsätzlich an der falschen Stelle. Also im Falle des Wortes links von uns. Jenseits tummeln sich die Nullen. Diesseits sowieso.

Auch das ist nichts Neues. Wer täglich um Wortwert kämpft und mit Nullwörtern auf Gegenseite erschlagen wird, der verliert möglicherweise irgendwann genauso das Vertrauen in die Worte und Werte wie der, der seine in 120pt – Schrift über einem Bild positioniert, damit die Botschaft auch beim Banalphabeten sicher ankommt. Im Boulevard war ein Wort noch nie viel wert. Da schlägt die Inflation am härtesten durch. Kostet ein „Danke“ oder „Bitte“ kaum mehr als etwas Überwindung, ist ein „Dr.“ für mindestens fünfstellige Beträge zu haben. Fragen wir den ehemaligen Verteidigungsminister dazu!

Und was sind Akronyme wie CDU, CSU, SPD, FDP, LOL in der heutigen Zeit noch wert? FAQ-List zum Thread "Lange Worte, viel Geld":

Benzinmotorhochentaster – 69,99 €
Sport/Klima-Vollausstattung – 15.000 €
Schmiergeldzahlungsvorwürfe – 150.000 €
Steueramnestieverfahren – 600 Mio
Haushaltsnachtragsentwurf – 300 Mrd
Bankenrettungsfonds – ...exception overflow of digits here...

Rückfrage der Texterin: “… warum willst du dich frustrieren mit dem Wortwert?”
Tja, darauf fällt mir jetzt auch für einen Dollar keine Antwort ein. So neigt sich der Tag. 1.000 Wörter über den Daumen, das wären knappe 10 € oder 22 Becher Joghurt mit Waldbeerengeschmack. Reinhard Jahn fasst zusammen: „Text*erfassung* wird besser bezahlt als Text*erstellung*“

Das stimmt wohl so. Und mich traurig. Am Schluß die beiden Worte, die nach Sinje Becks Meinung alles in allem am teuersten sind: „Ja“ und „Nein“