Und wer hat jetzt Recht?

Als ich jung war, gab es noch einen Gott. Er hing in der Kirche am Kreuz und sprach mit Monsignore Don Camillo zu den gottlosen Sozialisten, manchmal auch im Café um die Ecke, wo die Fäuste flogen. Gott ist heute auf Reisen, seine Wohnsitze stehen leer und verbreiten Corona, wenn dort die Unbelehrbaren ungeschützt singen. Im teuersten Altenheim der Welt, Guantanamo, sitzen auch noch einige ein, die nicht loslassen können von dem, was einst Gott auf Erden war. Und insgesamt scheinen sich schon längst alle um das Erbe zu streiten, wer denn nun den richtigen von den Göttern angebetet hätte, als er noch da war.

Als ich jung war, suchten Forscher den Verschwundenen in Heisenbergs Unschärferelation, denn der russische Sputnik hatte schon im Himmel nachgeschaut, war dort nicht fündig geworden. Und als die Enterprise in ferne Galaxien aufbrach, fand sie statt seiner dort oben die Borg, die wir jetzt aus dem Schlamm von Flüssen graben, womit alle unsere Befürchtungen wahr zu werden scheinen. Die Wissenschaft ist seither unsere neue Religion, und ihre Häretiker sind Verschwörungstheoretiker. Die Häretiker allerdings waren und sind zu allen Zeiten die religiösesten unter den Fanatikern gewesen, sodass auch hier eine gewisse Abgeschlossenheit des Denkens und Handelns zu beobachten ist.

Das Sektiererische war doch immer nur eine Sektion eines großen Ganzen, das sich in Auflösung befand. Es ist kein Gewissen mehr im Spiel, als mehr die Schlacht zwischen Theorien und Theoretikern, von denen jeder für sich Recht haben will. Als ginge es um einen großen Kuchen Recht, der aufzuteilen ist - oder eben um ein Erbe, das jeder antreten will, nachdem der Hausherr das Zeitliche gesegnet hat. Noah, lese ich, wäre ein Verschwörungstheoretiker gewesen, bis die Flut kam. Man sieht, wie sich die Weltanschauungen runden.

Über-runden? Da, wo einstmals schwarz-weiße Klassenkämpfer um richtig oder falsch zankten, hat inzwischen Hollywood die Apokalypse mehrfach durchgespielt, nämlich auf der Leinwand. Damit sind wir bei Plato und dem Höhlengleichnis, und den alten Griechen, die im Polytheismus geradezu erstickten. Sie hatten für jede Naturkatastrophe ihren eigenen Gott, und die Halbgötter, die den Menschen das Feuer brachten, schmiedeten sie an Felsen fest. Da oben irgendwo in den toten Felsen, die uns auf die Köpfe zu fallen drohen, hat inzwischen Bruce Willis mit seinen Mannen die Apokalypse mithilfe einer Atomrakete gesprengt, was Jesus und der Prophet nicht so pragmatisch hinbekamen. Auch Noah nicht mit seinen Tauben.

Das Feuer der Feuer gewissermaßen im All an einen Felsen gekettet. Doch nach allem Gezänk darum, wer denn nun eigentlich Recht hat, und den anderen sagen kann, was sie zu tun haben, bleibt die Ratlosigkeit eines kaukasischen Kreidekreises, in dem ein schuldloses Kind in Stücke zerrissen werden soll, weil sich die Mütter und Väter des ungeliebten Dings nicht einig werden können. Was war damals noch der Ausweg aus dem Dilemma?