Cáceres

Einen Hang zum Landleben kann man mir getrost nachsagen, wenngleich mir die Abgeschiedenheit mancher Ortschaften nicht entgegen kommt. Es ist schön, morgens um fünf in einer winzigen Ortschaft an einer Durchgangsstraße wie der N-630 zu sitzen und in der kühlen Witterung eines frühen Morgens über das Leben an sich nachzudenken und den Platz, den jeder darin findet. Die Gedanken kreisten viel um den Weinbauern-Onkel und die ruhigen Stunden außerhalb der Arbeit, wenn ich zur Weinlese nach Bordeaux gefahren war. Diese ruhigen, kühlen Stunden, wenn alles schläft und der nächste Tag noch nicht zu brummen anfängt, sie sind das schönste in diesen heißen Gegenden. Auf dem Platz vor der Herberge von Aldea del Cano kam diese Stimmung wieder zum Vorschein. Hatte sich lange vor mir versteckt. Ich bin dann noch im Dunklen losgegangen und eine für mich weite Strecke bis nach Cáceres rein eher marschiert als gewandert. Erst gegen elf Uhr, als ich in der mittelalterlichen Innenstadt von Cáceres verloren um die Ecken schlich, um eine Herberge zu finden, wurde mir die Strecke lang und schwer. Es sah aus, als sei alles belegt.

Dieses Gefühl der Unsicherheit quält zusehends, wenn man beim Start einer Etappe nicht weiß, ob man in der Mittagshitze eine Unterkunft finden wird. Man könnte vielleicht vorweg buchen, doch nähme man sich die Chance, die Etappen nach Wohlbefinden zu bemessen - oder auch abzubrechen, wenn man einen schönen Ort erreicht, an dem man bleiben möchte. Es fällt mir auch immer noch nicht leicht, mit Spaniern zu telefonieren. Gerade dann, wenn sie gleichzeitig mit anderen Gedanken beschäftigt sind, über Freisprechanlage reden oder sich in Englisch versuchen. Fatal ist der Umstand, dass Telefonnummern von Herbergen in Internet und Druckmaterial selten aktuell sind. So gehe ich ein um das andere Mal mit Unbehagen schon los und überlege, was ich nur tun kann, wenn ich - wie jetzt gerade - in Cáceres keine Herberge finde. Und eine Dusche brauche. Und Schlaf.

Ich habe dann über eine Buchungsplattform im Internet ein Bett gefunden. Die Herberge lässt sich allerdings mit dem Navi kaum orten. Irgend etwas läuft schief mit der Kartenapp, so dass ich das halbe Stadtviertel abschreite, was in Cáceres dem Gang durch ein mittelalterliches Labyrinth gleichkommt. Die Aus- und Einblicke sind so ergreifend, dass ich eine Kamera mitlaufen lassen müsste, denn mein Auge ist nach den Strapazen der staubigen Kilometer bis hierher nicht bereit, die mysteriöse Schönheit dieser Stadt aufzunehmen. Es wachsen Glockentürme vor mir auf, Paläste, Treppen, Stiegen, Torbögen, es geht um Winkel, hinauf, hinunter, an diesem Café warst du doch schon einmal? Da sind Museen und Innenhöfe und Paradore und Miradore, Bars, Kneipen, Stadtführer, die Portale erklären. Ich finde den Weg nicht. So geht es eine ganze Weile, bis mir die Strecken in der Stadt länger vorkommen als mein Weg über Land und die Orientierung weit anstrengender, als den gelben Pfeilen nachzugehen, die den Jakobsweg markieren.

Endlich erreiche ich ein unscheinbares Portal in einer schmalen Gasse hinter dem Parador. Dort betrachtet mich ein elektronisches Glupschauge und eine Stimme erteilt mir Anweisungen, die ich brav befolge. Bis ein Personalbogen ausgefüllt, mein Ausweis von vorn und hinten fotografiert ist und ich endlich einen Code erhalte, mit dem ich eintreten kann. Zimmer drei, Bett eins. Eine Art Schlafwagenabteil ohne Räder, durchaus luxuriös, aber auch steril. Bevor mir nach einer Dusche ist, steige ich den Schildern „Mirador“ nach auf das Dach und halte den Atem an, bis mir das Gesicht blau wird. Ich blicke über die Dächer der Stadt, die Türme, die Kirchen, die Zinnen, die Häuserschluchten aus dem Mittelalter in eine schier endlose Weite der Extremadura, möglicherweise bis nach Kastilien hin. Ein Panorama, das einem Tränen in die Augen drückt.