Der Pfarrer und die Esel

Ein Taxi zu nehmen, wäre hier definitiv der Fehler meines Lebens gewesen. Ich bin in einem Ort, der sich frei übersetzt so nennen würde: Eichenquelle der Heilerde. Auf Spanisch klingt das wie ein Adelstitel: Fuenteroble de Salvatierra. Nun, soweit es den Weg angeht, habe ich eher gedankenlos eine Strecke überwunden als offenen Auges zu wandern. Es ging in langen Passagen zwischen Mauern hindurch, links und rechts ausgedehnte Viehweiden. Die aufgeschichteten Steinwälle drängen sich nicht übermäßig auf, da die Sandwege, auf denen ich unterwegs bin, in Spanien meist breit sind. So fühlt man sich nicht eingemauert. Die Steine wurden einfach aus dem Feld an die Grenze geschafft und dort als Zaun verwendet. Orte sieht man selten, und wenn man welche sieht, dann findet man kaum Leben darin. Geschweige Bar, Kaffee und andere Annehmlichkeiten. Schließlich laufe ich in Fuenteroble ein, ersteige die Calle zur Dorfkirche hin und, gestärkt mit einer Tonica aus einer der beiden Bars, die es hier gibt, treffe ich schließlich im Pfarrheim ein. Dort drückt mich der Pfarrer dem Küster in die Hand, der erklärt mir alles und rät mir, erst mal zu duschen.

Javier hat recht. Und ich schon einen halben Tag darüber nachgedacht, ob die Fliegen, die mich in dieser Gegend überfallen, eine kastilische Plage sind oder das Erbe eines Monatsmarsches. Nach der Dusche tappe ich mit meiner Credencial in der Hand durch das Pfarrheim auf der Suche nach einem, der mir den Stempel gibt und meine Ausweisdaten in ein großes Buch einträgt. Dabei treffe ich auf drei speisende Herren. Noch ist das Wort Entschuldigung nicht über meine Lippen, da sitze ich schon, gedrängt von Javier und seinem Pfarrer auf einem Stuhl und habe einen Teller Bohnensuppe vor mir. Keinen Hunger, schmeckt das Gericht so gut, dass man nicht anders als aufessen kann. Dann kommt Huhn, dann frittierter Kohl, Obst und vor allem: Wein. Ein Glas nach dem anderen. Ribera del Duero ist erstklassig und weit über die Grenzen Spaniens bekannt, kommt ganz aus der Nähe und steht in Form eines drei-Liter Ballons auf dem Tisch.

Dieser hier, ich komme nicht dazu, das Etikett zu lesen, wäre nur von einfacher Qualität. Kann ich nicht bestätigen. Er ist trocken, erdig, ausgewogen, hat fruchtige Noten, Tempranillo wahrscheinlich aus der Gegend Valladolid. Der Pfarrer fragt mich zu meinen Plänen aus. Er zeigt sich ausgesprochen informiert, beispielsweise über die wenigen Gäste, die Manuela in Calzada beklagt, die niedergegangene Textilindustrie und die Flaute im Tourismus. Er betreut eine Reihe von Ortschaften ringsum. Zwei von acht können sich gut halten, die anderen nehmen einen beständigen Weg bergab. Überalterung, Abwanderung, wirtschaftliche Probleme, das Land dünnt aus. Mehrfach habe ich bereits von Javier gehört, dass der Pfarrer ein bedeutender Mann sei, denn er kümmere sich um Schwache und Arme und hätte gerade kürzlich mit großer Mühe Menschen aus der Ukraine aufgenommen: geistig behinderte und eingeschränkte Menschen, die hier in Kastilien eine vielleicht neue, sichere Heimat finden. Der Kerl ist mir sofort sympathisch.

Nach dem Essen muss der Pfarrer gehen, und Javier kippt seinen Kopf in Richtung Nebenraum. Dort erwartet mich eine Überraschung. Zunächst geht es nur um die Stempel im Pilgerpass. Dann erfahre ich, dass in diesem Raum abends gegessen wird und morgens gefrühstückt. Dann sehe ich mich an den Wänden um und entdecke das Steckenpferd des Pfarrers. Esel und Karren. Im Hof war mir schon ein Karren aufgefallen, hier jetzt das Zaumzeug dazu, bemalte Wagenklappen, Trinkflaschen, Pläne, Figuren, Modelle. Mehrere Bücher liegen auf dem Tisch. Sie dokumentieren, dass der Pfarrer mit seinen Gläubigen mehrfach per Eselskarren in die Welt gezogen ist. Rom, Norwegen, Via de la Plata. Auf dem Wagen stets ein geschnitzter Apostel Jacobus mit Stock und Hut, arbeitet sich die Gemeinde mit dem vom Langohr gezogenen Gefährt durch alle Arten von Gelände, der Pfarrer immer hemdsärmelig schiebend an Wagenrad und Deichsel. Die Presse der halben Welt hat ihn abgelichtet. Der Mann ist mir noch sympathischer. Ja, jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, wo man eigentlich mal raus müsste, einen Gin-Tonic zu trinken. Aber dazu bin ich zu müde. Selbst zum Rauchen bin ich zu müde.