Nichts, nichts und wieder nichts …

Jetzt bin ich erst mal durch Frades und über die Sierra de Dueña hinaus. Morgens getrödelt, weil ich dem Pfarrer und seinen Leuten beim Aufrüsten der Esel helfen wollte. Sie haben sich nämlich mit einer Gruppe von etwa einem halben Dutzend Leuten und ebenso vielen Eseln auf den Weg in Richtung Los Santos gemacht. Pfarrer Don Blas rief mir an der Weggabelung noch zu: „Los, komm mit uns!“ Er ist unter Wanderern weltbekannt für seine Freundlichkeit gegenüber den Pilgerern im besonderen und Mitmenschen im allgemeinen. Nach unserem Abschied muss es schon zwischen neun und zehn Uhr gewesen sein, dann habe ich noch einen Umweg gemacht und in Frades einen Kaffee genippt, und jetzt sitze ich acht Kilometer vor San Pedro unter einer Eiche und genieße eine Mittagsrast. In Frades habe ich mir auch Brot und Wein gekauft, was mich zu einer Gewissensentscheidung zwingt. Aufmachen oder nicht? Ein Wein in der Hitze könnte den Weg für heute beenden, und der Ort hier lädt nicht gerade zur Übernachtung ein. Ich sitze neben der Straße. So fällt die Entscheidung schwer.

Kurzerhand drücke ich nach reiflicher Überlegung, nach Für und Wider entschlossen den Korken in die Flasche. Mit meinem Pilgerstab. Auch dafür ist das Werkzeug geeignet. Gleich kommt eine samtig rote Medizin aus der Flasche, Wein aus Salamanca. Dann schaue ich zum x-ten Mal im Wörterbuch nach, was Mendigo heißt, weil ein Ort in der Nähe dieses Wort im Namen trägt. Kein Wunder, dass ich mir das nicht merken kann oder will: der Bettler. Ein leichter Wind streicht mir über das Gesicht, und ein teurer Geländewagen rauscht vorbei. Der Fahrer winkt enthusiastisch. Ich winke zurück. Die kastilische Steppe scheint mir nicht so schrecklich, wie sie in den Liedern besungen wird. Es bleibt dann allerdings bei der Begegnung, denn die Straße wird gerade neu gemacht. Als ich schließlich nach mehreren Stunden doch noch San Pedro erreiche, habe ich ganze zwei Personen gesehen. Der eine saß auf einer Planierraupe und zog die Böschung glatt, der andere hatte ein Gebläse und blies den Staub von der Asphaltdecke. Zwei Kilometer hinter und vor ihm niemand und nichts.

Dann kam San Pedro, ein völlig lebloses Dorf. Alles, was sich noch bewegen kann, ist an den Dorfrand ins Freibad geflüchtet. Es existiert eine Herberge, die kommunale hat zu. Die verbleibende Herberge erscheint mir nicht einladend. Gleich regt sich ein Widerwillen, den ich nicht konkretisieren kann. Ich sitze an der Theke und nippe am zweiten Tonic, als mir einleuchtet, dass ich hier nicht schlafen kann. Verrückt, da es auf die sieben Uhr zu geht, rundum nur Steppe, und ich habe 30 km in den Beinen. Aber ich frage mich zu einem Lädchen durch, kaufe mir Wasser, Gaspacho und eine Dose Makrelen und eiere los, am Schwimmbad vorbei in Richtung Murille. Weiter kann ich unmöglich kommen, bevor es dunkel wird. Bis Salamanca sind es noch gute zwanzig. Bevor ich den nächsten Ort erreiche, kommt mir ein Teich in den Weg, dahinter ein Gebüsch aus Pappeln. Ich schlage mich da hinein, rolle mein Bett aus und verzehre mein Abendmahl ganz ohne Wein und große Wandlung. Heute war es ein bisschen viel.