Ein Eimer voll Weinerde

Ich habe die Universitätsstadt ungern, aber trotzdem früh am Morgen verlassen und bin eine schnurgerade Straße entlang wie in Trance gegangen, nur einmal kurz unterbrochen von einem seltsamen Empfinden. Da kam ich an der Haftanstalt vorbei und ahnte, warum hier und nicht anderswo. Gut einsehbares Niemandsland als Kulisse für einen Jim Jarmush - Film. Beispielsweise. Oder umgekehrt das Setting, in dem sich ein flüchtiger Häftling als wandernder Pilger auf dem Weg nach Santiago ausgeben würde. Sicherlich kein guter Gedanke, hier ein Auto anzuhalten. Ein Marsch wie in Ketten ...

Die Extremadura von ihrer Sonnenseite. Als hätte man sie in unzähligen Western durchlitten, in denen es gilt, nach Mexiko zu fliehen. El Cubo de Tierra del Vino ist der einzige Ort weit und breit, frei übersetzt: ein Eimer voll Weinerde. Der Chef der privaten Herberge scheint ein guter Koch zu sein. Er ist allerdings ein noch sichererer Sommelier. Am Abend hatte ich was zu begießen. Es hatte sich eine Reiseleitung angeboten und nach einem Telefonat sind wir uns schnell einig geworden. Eine ganz interessante Rundreise. Also habe ich mich gleich in den örtlichen Supermarkt begeben und dort ein Flasche Rotwein gekauft, die zwar nicht aus dem Ort, aber aus der Nähe kam. Fast hatte ich sie ausgetrunken, als der Wirt der Herberge mir einen Weißwein aus Cubo hinstellte. Der war phänomenal. Wir redeten ein wenig über die Rebsorten und das Anbaugebiet, dann kam noch ein Rotwein. Bei den getrunkenen Mengen blieb nicht viel vom Abend im Gedächtnis, ein geflügelter Satz allerdings haftete: der Wein sei heute zwar Genussmittel, in früheren Zeiten allerdings Nahrungsmittel gewesen. Das solle man nicht vergessen. Entsprechend beflügelt ging es heute weiter. Der Wein und das Essen müssen eine Menge Kraft verliehen haben, denn obwohl ich spät aus den Federn kam, war ich am Nachmittag in Zamora. Der Weg fiel nicht schwer, die Knie spielten mit. Selbst die Landschaft hatte unerwartete Reize, kaum dass man aus Cubo heraus war. Gegen vier Uhr blies mir ein Wind dunkle Wolken über den Kopf. Ich stand an einer Eremitá und blickte auf die Mauern von Zamora hinunter ins Tal des Duero hinein. Verschnaufen, ein paar gegrillte Chipirones essen, mich in der Herberge anmelden, Rucksack abstellen und in die Stadt gehen, liefen wie das Programm eines Schlagwerks in der Rathausuhr ab. Eine Stunde später hatte ich die Kathedrale besichtigt, einen Rundgang durch die Stadt gemacht, schwamm im Duero auf dem Rücken und blinzelte in die Sonne.

Zuweilen kommt es vor, dass man das Gehen selbst vergisst und einfach nur unterwegs ist, die Gegend betrachtet, die Gedanken schweifen lässt. Solche Momente sollten das Ziel der ganzen Sache sein. Ich glaube, dass es heute ein oder zwei Mal passiert ist.