die Angst

Die Angst hat in Deutschland ihren festen Wohnsitz. Sie rast im Elektroauto über die Straße und sonnt sich in Papiertüten, schwimmt in laktosefreier Milch und trennt sauber den Müll. Sie kleidet sich in Ärztekittel und schwadroniert über Virenlast, Wetter und Atomkriegsszenarien. Sie zahlt irrsinnige Gaspreise, kauft Wohnmobile und gräbt Swimmingpools. Sie treibt uns morgens aus dem Bett und abends die Korken aus der Flasche. Die Angst bestimmt, worüber wir mit Freunden reden. Sie lässt uns statt Wohnungen Festungen gegen den Klimawandel bauen. Sie zeigt mit Fingern auf die anderen, die das Spiel nicht spielen, falsch oder nachlässig. Sie radikalisiert. Angst lebt in der Ritze und im Scheuermittel. Sie ist eine Nebenwirkung eines Medikamentes, das für nichts zu brauchen ist. Sie steckt in Formularen fest, sie jault im Laubsauger und mixt sich in den Fruchtdrink für unsere Kinder. Jeder Versuch, sie nach draußen zu befördern endet beim Arzt. Wenn man vom Ausland kommt, spürt man sie wie einer, der morgens barfuß in den Morgentau am Rasen tritt. Gewöhnung vertreibt schnell das Unbehagen. Und ehe man sich ihrer Allgegenwart bewusst wird, verschmilzt die diffuse Angst mit ihrer Umgebung wie ein graues Kleid auf einem grauen Sofa vor einer grauen Tapete. Man merkt nicht mehr, wenn sie spricht. Sie flüstert unvernehmlich, während ich Sportschuhe anziehe, Inhaltsstofftabellen überfliege, ins Portemonnaie sehe. Sie schreit mir Schlachtrufe an den Kopf von Plakatwänden, Zapfsäulen und LED-Screens, ohne dass ich was höre oder sehe oder wahrnehme. Außer diesem Unbehagen, einen der Rufe nicht oder zu spät gehört zu haben. Dem Unbehagen, dass die Welt unterginge und ich hätte es nicht rechtzeitig bemerkt. In Deutschland lebt die Angst sehr komfortabel, denn hier ist sie das profitabelste Geschäftsmodell.