LitWars - Extinction

Zur Zeit toben viele Kriege. Da lässt sich kaum noch unterscheiden, welcher zu welchem in welcher Beziehung steht. Wie zum Beispiel wirkt sich das drohende Handelsabkommen auf die Literaturlandschaft aus? Und wie auf die Afrikaner in Lampedusa? Was hat Lampedusa mit dem Kaukasus zu tun und dies wieder mit dem Öl unter dem Irak. Und wer schreibt darüber? Wie steht dazu der Whistleblower der NSA? Und was hat der Krieg der NSA gegen den weltweiten, also auch den selbstgemachten Terror mit einer freien Literaturlandschaft zu tun?

Solche Fragen zu klären, kann leicht ewig dauern und recht fruchtlos werden. Tatsache ist, dass in Kriegen gleich zu Anfang eine Positionierung verlangt wird. Man muss für oder gegen etwas sein – in der Regel schon bevor man überhaupt den jeweiligen Sachstand weiß. Gerade also tobt ein erbitterter Kampf in der Literaturlandschaft. Verlage gegen Amazon heißt das Match. Ich würde es mal ins Achtelfinale schieben oder von Vorrunden sprechen. Für viele auch erfolgreiche Autoren scheint es mindestens eine Endausscheidung zu sein. Denn sie haben jetzt einen offenen Brief an Jeff Bezos formuliert, und der macht mir Kopfzerbrechen.

Wir Autoren sehen uns und unsere Bücher gern in Geiselhaft der großen Buchhandelsketten. Das war schon immer so. Was Palettenware ist, und was im hintersten Regal unter Regionalia verschwindet, entschieden Marktstrategen durchweg zu Ungunsten der reichhaltigen Literatur. Gut es hieß nicht it-modern „Das könnte Sie auch interessieren“, sondern eher pragmatisch: „Wenn du in den Laden willst, musst du erst am neuen Harry Potter vorbei“. Aber der Effekt war doch derselbe. Jetzt allerdings kommen die Just-In-Time-Strategen auf ganz neue Wunderwaffen. Auslieferungsverzögerung, Bücher werden als nicht lieferbar gekennzeichnet, aus Datenbanken gebannt oder dort in die letzte Ecke geschoben.

Neu? Ist daran nichts. Man nutzt nur die technischen Mittel. Aber ist das wirklich so, dass Bücher und Autoren nun von Geiselhaft und Erpressung bedroht sind, die Literatur am Rande des Ruins durch Austrocknung der Vielfalt steht und gewissenlose Geschäftemacher die Kunst zur Ware degradieren? Ein Blick in einen Großverlag, und die snobistische Attitüde von der geknechteten Kunst verlagert sich in die Historie zurück. Literatur ist seit jeher eine Ware. Wer das anders sieht, ist einem gewaltigen Werbekonzept auf den Leim gegangen. Für die Verlagsgesellschaft und ihre Aktionäre, den Großbuchhändler und seine Filialen ist und war immer das Buch das, was für Lidl und Aldi der Yoghurt ist oder etwas böser: Toilettenpapier. Und der Leser ist nicht mehr als ein Kunde.

Böse, böse, sagt das Feuilleton, doch umgekehrt ist die Lesart so: Jeder Kunde ist für den Autor auch ein Leser. Wenn nicht der Kunde, wie im Falle der ‘ungelesenen Bestseller’ einfach nur Käufer bleibt, der seinen Erwerb gut sichtbar im Regal verstaut oder zu Weihnachten jemandem schenkt, der keinen Blick zwischen die Deckel wirft. Wir haben also Leser, wenn wir Kunden haben. Die Kunden aber gewinnen große Verlage mit mindestens den selben Marketingstrategien, wie sie auch für Kartoffeln gelten. Preise deine Bioware an und bekämpfe bis aufs Messer die Massenware, produziere beides und spiele die Händler gegeneinander aus, züchte dir eine Glaubensgemeinschaft, die dein Produkt für etwas ganz besonderes hält, hefte eine Magie daran und lass die Ware in Korea zu Niedriglöhnen vom Band laufen.

Was will der Leser? Doch vor allem die Sicherheit, dass das, was er kriegt, das ist, was er will. Viele Menschen wollen in der Literatur einen besonderen Raum betreten, der ihnen näher liegt und freundlicher gesonnen ist, interessanter als die Welt des Realen. Sie wollen neue Welten kennen lernen, spannende Geschichten und interessante, liebenswerte Personen. Vielleicht auch mal Aufsehen erregend Übles erleben aus der sicheren Distanz dessen, der das Buch zuklappen kann. Allwissenheit und Allmacht des Lesers, der ein Buch vorne, hinten oder in der Mitte beginnen kann. Wegwerfen und verbrennen. Oder eine Geschichte spoilen im selben Moment, wo er sie seinem Nachbarn schenkt: Lass dich durch das Ende überraschen! Das ist ganz anders, als du erwartest.

Dass das Geschichtenrepertoire sich einschränkt – meine Güte – das ist doch nicht Jeff Bezos Schuld. Ein solches Phänomen beklagen wir seit Jahren. Könnte es sein, dass es diesmal genau umgekehrt ist und diese häßliche Attacke von Amazon gegen den Buchhandel (und die Vorzugskonditionen einer vor langer Zeit einmal gesünderen Literaturwelt) möglicherweise der Literatur Impulse gibt, die sonst in ihren Vorzugskonditionen vermotten würde?

Es ist nur eine Frage, denn wer kann sich schon bei Ausbruch eines Krieges den Überblick verschaffen, welche Seite in der Auseinandersetzung welche Greuel begehen wird? Es ist nur eine Frage, aber könnte man es auch umgekehrt so sehen, dass der Onlinebuchhandel darauf hinwirkt, die Literatur aus der Legebatterie zu befreien und Freilandhühner zu züchten?

Ein Beispiel: das Selfpublishing. Vor Jahren von der Musikbranche bereits als Vorhölle der Labelpiraten geächtet, haben etliche Bands per Internet und freiem Download Zahlen erreicht, die anschließend in die Studios und Plattenverträge führten. Auf dem Rücken der Kunden. Heute schwärmen Autorenkollegen von der lockeren Anarchie der Poetryslams. Die Reaktion der Verlagsgruppen auf die Liberation im literarischen Quadranten: man kämmt die publisher-Szene systematisch durch, fischt erfolgreichere Autoren aus dem Pool und nimmt sie ins Programm auf, um sie dort zu eigenen Konditionen hermetisch sicher aufzubewahren oder an die Szene der randwertigen Zuschussverlage abzuschieben, falls die Verkaufszahlen nicht mehr stimmen. Auf diese Weise pumpt man die Szene durch ein gewaltiges Filter, in dem für minimale Zuschüsse so manches Talent endgültig hängen bleibt.

Endgültig und relativ chancenlos, denn von einem winzigen Vorschuss kann man nicht leben, Marketing überlassen selbst die größten Verlage den Autoren selbst, und Lektorate sind die Ausnahme. Es wird redaktioniert. Dafür allerdings landen zwei Drittel der Einnahmen beim Sponsor, und der dreht, wie gesagt, ganz schnell den Hahn zu, wenn Ausgaben Einnahmen auch nur kurzfristig übersteigen.

Werden wir in Zukunft also bessere Bücher haben (homegrown selfie pubs)? Ich denke, es wird an Autoren und freien Lektoren liegen. Möglicherweise kann ein Autor, der einen guten Lektor für geringe Kosten findet, als Selfpublisher erfolgreicher sein als unter dem Deckel eines global playenden Verlages. Aber das hieße schwimmen lernen für das Huhn. Jedenfalls bin ich mir nicht sicher, ob es in dieser Schlacht sinnvoll ist, gleich zu einer der beiden Fahnen zu greifen. Möglicherweise passiert das, was immer passiert: der Kunde entscheidet.

Pardon: der Leser.