Koiner nie verstanden

Suppe las als Kind Brecht. Das hätte er nicht tun sollen. Es gab im Haushalt von Suppe kaum Bücher. Telefonbücher vielleicht. Suppe war introvertiert. Wenn der Chef am Montag seine Schüler fragte, was sie am Wochenende gegessen hatten, dann antwortete er Suppe. Daher hatte er seinen Namen. Wenn der Chef fragte, wo sie gewesen waren, antwortete Suppe zuhause. Fragte der Chef, was sie lasen, verzweifelte Suppe vollends. Der Chef hieß Chef, weil er solche Fragen stellte. Daher war er wohl auch Chef. Schulleiter also. Extrovertiert. Suppe nicht.

Suppe glaubte, man habe ihm ein defektes Exemplar von Brecht untergejubelt. Dort wo Keiner hätte stehen müssen, stand bei ihm Koiner. Das ergab keinen Sinn. Die Geschichten vom Keiner passten allerdings genau. Sie brachten Keinen zum Denken. Keiner ist eine Fußspur im Sand der Geschichte. Keiner ist das, was fehlt. Da wo kein Sand ist, ist die Spur. Keiner hinterließ deutlichere Spuren als jemand, der eigentlich fehlte. In Suppes Leben sowieso. Heute ist nämlich Suppe der Chef.

Suppe war gut in Mathe. Er war auch gut in Religion. Er verstand die Welt, wo sie fehlte. Allerdings zählte das nicht. Die anderen verstanden nichts, hinterließen aber ihre Spuren. Er verstand alles und zählte nichts. So also begann Suppe, allmählich zu verschwinden. Er hatte es auch fast geschafft, als man ihn entdeckte. Es war die Entdeckung der Menschheit an sich. Die Neuerfindung des humanoiden Gedankens. Suppe nannte sein Ziel »Das absolut extraordinäre Mittelmaß«. Er wusste schon früh, wie man es erreicht.

Heute ist Suppe der mittelmäßigste Mann der Erde, der reichste und mächtigste weit und breit. Er hat von nichts eine Ahnung, war durchschnittlich oft verheiratet und hat eine durchschnittliche Anzahl kaum begabter Kinder. Sein Konzept ist, einen fetten ökologischen Fußabdruck in einem Hohlkörper von Sonntagsreden zu hinterlassen. Spuren im Sand. Suppe ist ein guter Kumpel. Er saß neulich mit mir nicht im Garten, weil man im Winter nicht Haxen grillt. Wir redeten über alles weitere, was man so nicht macht, und warum.

Wir reden viel über Dinge, die man nicht tut. Mehr noch reden wir über Dinge, die man besser nicht tut. Es ist nämlich nicht gut, Gutes zu tun oder zu schaffen. Es ist besser, besser zu sein. Gut besser nicht. Man muss das alles im Zusammenhang sehen, im Zusammenhang der zielstrebigen Mittelmäßigkeit. Besser sein heißt, noch mittelmäßiger als die anderen. Besser zu sein, ist noch besser als das Mittelmaß. Es ist die Krone der menschlichen Existenz. So wird man zum Chef.

Wir redeten darüber, wie man auch das Mittelmaß noch verbessern könne, so in seinem eigenen Umfeld. Er meint, man müsse früh einen Trend erkennen. Und ihn dann mittig treffen. Auf diese Weise hat Suppe einen Haufen Kohle gemacht. Übrigens mit Suppe. Tütensuppe vor allem. Aber auch das andere Zeug, was man aus Dosen, Plastikbeuteln, Wurstpressen und Kühltruhen holt. Um eine richtig gute Suppe zu machen, muss man, sagt er, die Seele der Suppe verbessern, den Gedanken der -ja- absoluten Mittelmäßigkeit.

Hier kommt schon mal gern ein Missverständnis ins Spiel wie das mit dem Keiner und Koiner. Keiner verwässert besser als Suppe das Gericht. Er schüttet Bier über sein Steak. Das macht man so nicht, hat er in einem Amifilm gesehen. Da wird auch immer Barbecue gegrillt. Auf der Grillkohle sammelt sich die Suppe, verdampft und stinkt. Es ist ein Gasgrill mit Lavasteinen. Man könnte sie auskochen und so den Hautgout noch retten.

Da müsste der Fooddesigner dran. In der Firma haben sie ein halbes Dutzend von den Heinis. Je mehr, je besser. Ob ich seinen Wortspielen folgen kann? Ja, klar. Denn besser ist das Mittelmaß aus, sagen wir: dem Fleischsaft vom Grill. Was am Ende herauskommt? Ich schneuze mir die Nase, denn das macht auch die Ohren frei. Manchmal ist Suppe schwer zu verstehen. Gerade so, als hätte er Immer einen Löffel Brei auf der Zunge. Ja, was?

Geschmacksverstärker kommt am Ende raus. Bei allem. Das absolute Mittelmaß ist Geschmacksverstärker. Das ist die Suppe der Suppen, sagt er. Und wendet unsere Steaks, die aussehen, als könnte man damit Schuhe besohlen. Oder hätte sie eben von einem Paar Schuhe entfernt. Im Grillen ist das Mittelmaß besser. Besser grillt man auch im Winter nicht. Und am besten nicht mit Suppe. Ich mag ihn trotzdem. Vor allem an jenen Tagen, an denen man nichts besseres vorhat.