die Entdeckung der fehlenden Dimension

Zweidimensionalität im Tierreich ist äußerst selten. Das liegt, wie ein älteres Biologiebuch zu veranschaulichen versucht, am Verdauungstrakt. Der würde, egal wie verschlungen man ihn auch annähme, das Tier in zwei unabhängige Hälften zerteilen, die auseinanderfielen, da sie nicht verbunden sind.

Eine Amöbe könnte vielleicht den Gegenbeweis antreten, indem sie die Verdauung durch die Öffnung einer Zellwand einleitet und durch die Öffnung der Gegenseite wieder abschließt, aber so biologisch dachte der Biologe nicht, der das Buch dazu schrieb. Auch könnte das Tier möbiussch sein, also ein über Kreuz verdrehtes Band, 2-D und trotzdem kompakt. Oder es könnte über die Außenwände verdauen, Licht absorbieren oder Stoffwechsel ohne zellulare Begrenzung leisten. Das alles wird uns zu kompliziert.

Denn ich will eigentlich auf die zweidimensionale Denke hinaus. Die unterstelle ich einfach mal den Dinosauriern. Sie sind durch ihre imposante Größe ja kaum amöbisch platt im einfachen Sinne, aber ihr Lebensraum wird als solcher vermutet. Die Savanne, kaum von Bäumen und gar nicht von Wäldern begrünt, hat was ebenes an sich. Entsprechend wird auch das Gehirn der Tiere strukturiert gewesen sein. Manche Tiere können angeblich bis heute nicht dreidimensional denken.

Ein Wurm, zum Beispiel. Guckt der, was in dreihundert Metern über ihm ist? Kennt der den Begriff der Vertikale? Die versteckte dritte Dimension mag er Zufall nennen und sich zusammen reimen, dass der Wurmgott darin lebt, der über Leben und Tod ganz willkürlich entscheidet. Bei den Sauriern, nehme ich mal an, war es ganz ähnlich. Sogar bei denen, die fliegen konnten.

Ich denke an ein Huhn. Ein Huhn braucht immer eine zweidimensionale Ordnung. Wir nennen es Hackordnung, weil es eben bequem ist, von der oberen zweier zweidimensionaler Ebenen auf die untere hinunter zu hacken, während man von der nächst oberen vorzugsweise dann wieder selbst gehackt wird. Umgekehrt wäre es umständlich und rein vom gedanklichen Organisationsaufwand auch schwerer zu bewältigen, hinauf zu hacken.

2-D-Wesen lieben die klare Schichtung. Das wird allerdings ewig nur eine Behauptung bleiben wie die, dass das Gehirn dieser Wesen kaum die dritte Dimension begreifen kann. Man müsste andernfalls einen gut erhaltenen Saurier im Denkzustand durch den Tomografen schicken und Aktivierungen messen, und das scheint diffizil. Wenngleich, man muss es einschränkend sagen, ein 2-D-Tomograf entschieden leichter zu konstruieren ist als ein dreidimensionaler.

Da bin ich beim Punkt, den zweidimensionalen Lebensräumen. Es gibt sie nämlich noch heute, und um es gleich vorweg zu nehmen, es scheint, als seien sie erneut im Kommen. Ich denke an ein Computerdisplay, die Fest-Platte, den integrierten Schaltkreis auf dem Motherboard. Alles platt. Soll man die verwegene These wagen und behaupten, dass zum Verständnis einer zweidimensionalen Welt ein zweidimensionales Gehirn (oder Gerät) vollkommen ausreichend ist?

Hier der bekannteste zweidimensionale Lebensraum: die Straße. Zur Veranschaulichung drei Gattungen von (2-D) Tieren, die nur dort zu finden sind. Das 2-D-Eichhörnchen beispielsweise zeichnet sich sicher dadurch aus, dass es die dritte Dimension nicht ausreichend zu schätzen und beherrschen weiß. Es ist relativ selten, wenn man seine Population mit dem 2-D-Igel, der 2-D-Katze oder der 2-D-Kröte vergleicht, kommt aber als aussterbende Rasse doch hier und da vor.

Exotisch hingegen schon fast die 2-D-Natter, hier ein Exemplar, das bereits im frühen Stadium der zerebralen Entwicklung ausstarb, also den 3-D-Sprung nicht erlebt haben dürfte, gemeint ist die Begegnung mit dem Storch und anderem Vogelvieh. Nattern kucken ja auch infrarot, was auf der Straße nicht unbedingt ein Vorteil ist, zumal wenn einem die Sonne auf die Schuppen knallt.

Die Loser in der 2-D-Fauna sind schon allein der Masse wegen, Kröten und Frösche. Auf dem Weg zum nächsten Nass würden sie sogar die Waschanlage wählen. Da scheint ein geradezu defätistischer Drang zum Suizid in den Genen eingebaut zu sein. Anders ist ihre Todessehnsucht kaum zu erklären. In Kürze sind das also einige der traurigen Bewohner einer ansonsten kahlen zweidimensionalen Welt ...

... denkt man. Denn nun kommt das Revival. Tatsächlich nimmt die 2-Dimensionalität unseres Lebensraumen dramatisch zu. Und in diesem Sinne stellt sich die Frage erneut: Wie sieht es mit der zerebralen Struktur der dortigen Lebewesen aus? Bleibt da was auf der Strecke? Wir sind ja nun nicht mehr auf versteinerte Funde angewiesen, sondern können die Gehirntätigkeit der Habitanten, Autofahrer beispielsweise, Handynutzer, direkt messen.

Ich für meinen Teil erwarte das Erebnis mit Spannung.