Snooker!!

Seit einiger Zeit gibt es bei uns am Ort ein Billard-Café. Es ist nicht nur irgendein Schuppen; dieses Lokal hat eine richtige Geschichte. Es ging nämlich als eine Art Experiment in Sachen Freizeit für Jugend und Verrückte los und trug von Anfang an den Stempel der edleren Variante eines Migrationshintergrunds.

Das muss man erklären. Das Billard-Café war nämlich ein Joint-Venture des Betreibers vom ortsansässigen Einkaufspalast und der chinesischen Familie, die das Chinarestaurant nebenan bewirtet. Am Anfang standen zwar Tische, aber es gab sonst kaum störendes Interieur. Vor allem die Theke hatte ihren eigenen Charme. Sie war aus Bierkisten zusammen gestapelt. Dahinter winkte schon mal eine Hand aus den Tiefen mit einer Bierflasche, und eine piepsige Stimme erkundigte sich: "Diese Bier oder andere?" - Die kleine Tochter, wohl knapp aus dem Kindergarten, erwies sich von Kindesbeinen an als Verkaufstalent.

Heute ist das anders. Nach großzügigem Umbau und der Installation einer Profibar im Zentrum, Anschaffung von stylischem Mobiliar und Aufstockung des Personalbestands um Cocktailmixer und Gutausseher beiderlei Geschlechts erinnert nurmehr die Tischtennisplatte neben der Snookertafel an die chinesische Gründerzeit.

Ich bin in dem Schuppen Meister. Im Pool. Nicht deshalb, weil ich ein besonders guter Spieler wäre, sondern wohl eher in Ermangelung von besseren - oder sagen wir: anderer mit meiner Nervenstärke. Man musste zuweilen während des Tourniers noch die Regeln diskutieren, was uns alle einander etwas näher gebracht hat; und am Ende von drei Hefe-Weißbier auch so ein bisschen als Test für Präzision im Umgang mit Material und Mensch herhalten musste.

Rot ist keine Farbe, sondern ein PausenfüllerSeit diesem Erfolg wird die Snookerplatte schätzungsweise doppelt so häufig frequentiert wie vordem, als es am Ort noch nicht einen Menschen gab, der die Grundregeln beherrschte. Jetzt gibt es zwei, die NICHT die Bälle gegen die Wände werfen oder sie mit der Rückseite der Queues durch die Glastüren dreschen. Na, ist vielleicht etwas negativ hier, alles in allem.

Sagen wir mal so: Das Material nutzt sich schon etwas stärker ab als im Crucible Theatre zur WM-Spielzeit, aber das macht den Charme der Sache aus. Und es spricht für das Ambiente, dass unser Tuch noch tiptop und alle Bälle vorhanden sind. Die Ausstattung an Hilfsqueues mangelt auch nur leicht. Statt Kreuz und Schwanenhals gibt es kurze Spider doppelt, und die halten nur dank Klebeband zusammen. Aber was wirklich stört, ist die Fußballleinwand.

Sagen wir so: es schult die Konzentration. Meistens gehen wir mit der Gewissheit vom Platz, heute wieder viel bewegt zu haben. Und das Standardgetränk ist mittlerweile Cuba Libre. Der beste Mix am Platz. Das alles wäre jetzt kaum der Rede wert, man dächte an das, was vor langer Zeit einmal ein Verkaufsleiter und eine Chinesin für die Freizeit ihrer Wahlheimaten geplant haben, und kratzte sich bei dem Ergebnis erstaunt den Kopf.

Denn Snooker ist ein Spiel, bei dem man unweigerlich an das Land zwischen China und Rhein denken muss und seine indischen Garnisonen. Snooker wurde erfunden, um Zeit zu vergeuden. Das ist der eigentliche Sinn des Spiels. Man entwirft Geräte und dazu passende Regeln genau so, dass man sie sicher nicht erfüllen kann. Nur so kann ein Offizier der britischen Krone in Pandschab Pundschah fünf Jahre lang Mosquitos und Stumpfsinn entgehen - und findet nebenbei noch genug Zeit, sich per Gin und Bitter Lemon mit genügend Chinin zu immunisieren, um nach den fünf Jahren den Heimweg noch zu finden.

Aber was ich selbst dann gern als Wunder bezeichne, ist, dass das Spiel tatsächlich Spieler hervorbrachte, die nicht nur die vermaledeiten Regeln bis ins letzte Detail hinein kennen, sondern sie auch noch virtuos mit dem erklärten Ziel zur Anwendung bringen. Männer, die nicht von dieser Welt sind. Und Frauen, aber die sind in der Minderzahl. Und so sieht's aus: Jimmy White im Teatime-Plausch mit Ronnie O'Sullivan in Sheffield.