Fakebook

Stolz oder nicht stolz, sagt Lutz, das kommt aufs selbe raus. Es ist der Erfolg, der zählt, sonst nichts. Lutz ist ein Kollege. Nannte sich lange Zeit Textworker. Damit weist Lutz auf seine Seelenverwandtschaft mit den Indianern hin, die vor hundert Jahren in Manhattan Stahlgerippe zu Hochhäusern verflochten haben, wie er es heute mit Wörtern tut. Begonnen hat Lutz beim Film als Fakebook-Writer. Eine Tätigkeit, die nicht mal einen Namen hat, deshalb hat er ihn kurzerhand erfunden. Fakebooks sind Requisiten. Wenn im Film jemand ein Buch aufschlägt, dann kann das heute kein echtes mehr sein, weil es sonst Urheberrechtsverfahren hagelt. Man braucht Bücher mit wohlklingenden Titeln, die niemals erschienen sind, und einem Inhalt, den niemals jemand lesen würde. Ähnlich wie man falsche Telefonnummern braucht, die echt klingen, Adressen, an denen niemand wohnt, und Autokennzeichen, die das Straßenverkehrsamt nicht kennt. Solche Stücke hat Lutz produziert, sieben Bücher insgesamt in seiner Karriere. Pro Exemplar hat man ihm 32,50 € gezahlt, und anschließend hat Lutz die Schwarten noch bei der VG-Wort angemeldet, um für den Fall der Fälle Bibiliothekstantiemen zu kassieren. Einen der Titel hat sogar ein Kunde mal gekauft und dann offenbar weiter empfohlen, denn der Schinken erzeugte in kurzer Zeit genügend Verkaufszahlen, um Lutz von einer Karriere als Bestsellerautor träumen zu lassen. Vom Tellerwäscher zum Millionär in der Kulturbranche, was eine Schlagzeile. Lutz hat mir mal erklärt, wie er seine Bücher produziert. Er nennt das »Mischen«. Es ist wie beim Skat. Wenn jemand einen fetten Grand hingelegt hat, darf man nicht zu sorgfältig mischen, dann bleiben die Buben zusammen. Man darf aber auch nicht zu wenig mischen, weil man es sonst merkt. Der Clou ist, dass man am Ende auch noch von der Sache profitiert. Buchmischen scheint leicht zu sein, seit es ebooks gibt. Du nimmst eine Seite von dem, was der eine den Pferden ins Ohr flüstert, eine Seite von dem Alten, der in Schweden aus dem Fenster flog, eine Seite von dem Hinterwäldler mit dem Dauerlauf in Amerika und vielleicht ein Weltraumepos und stapelst das ganze im Computer zu einem Sandwich. Dann passt du per Suchen und Ersetzen die Namen an, dauert fünf Minuten - sagt er. Und dann lässt du dein Textprogramm eine Zusammenfassung von dem ganzen schreiben: 300 Seiten, 500 Seiten, je nachdem. Die Titel waren immer das größte Problem. Lutz hätte mit seinem Konzept fast den Durchbruch geschafft, er war stramm auf dem Weg zum Bestsellerautor, und das gleich in mehreren Ländern. Doch kurz bevor er über die magische Million Verkaufszahlen rutschte, brachte eine KI nach dem selben Verfahren ein Buch heraus, das nicht besser oder schlechter war, nur in den Herstellungskosten billiger. Lutz kämpft seitdem mit Heldenmut gegen die Auswüchse der Technik und den hinterhältigen Ideenklau durch seelenlose Maschinen. Neulich hat man ihn in einen internationalen Schriftstellerverband gewählt, wo er nun wertvolle Arbeit leistet, um die Kulturschaffenden vor der Gefahr aus dem Netz zu bewahren. Erst einmal geht es darum, das Thema zu sensibilisieren, sagt er. Lutz fliegt viel zwischen Europa und den Staaten hin und her, schaut gern in Brüssel mal rein, lieber aber Paris und Berlin, da bleibt wenig Zeit zur Recherche. Deshalb hat er mich gefragt, weil ich ja noch ganz bodenständig … usw. … ich denke, ich gehe mir mal Tabak kaufen. Bei ihm ist die große Literatur in guten Händen. Und danach sehe ich mir vielleicht einen Film an. Ich kenne einen, da schlägt einer ein Buch auf, und man sieht, die Seiten sind völlig leer. Könnte eins von Lutzens Frühwerken sein.