Bel-schick

Die von den Kelten ausgehende Faszination scheint sowohl quantitativ wie qualitativ derjenigen zu gleichen, die die Saurier auslösen. Die Kelten sind nun ja nicht nach Hunderten von Millionen von Jahren Weltherrschaft durch den Einschlag eines Meteoriten zum Aussterben gezwungen worden, aber sie hinterließen ihre Fossilien quer durch Europa. Wo immer man eine Stadt besucht, waren Kelten ihre Begründer, Phönizier oder die Eisenbahn.

Belgien war einmal das nach England am stärksten industrialisierte Land Europas. Schon zu keltischen und römischen Zeiten scheinen Erze eine große Rolle gespielt zu haben. Messing beispielsweise hat Dinant lange Zeit geprägt, allerdings erst lange nach Caesars Friedensmission. Die Belgier waren gute Blech- und Kunstschmiede. Mag sein, dass mit dieser Begabung auch Adolphe Sax ausgestattet war. Er kam aus Dinant und erfand das Saxophon.

Das Saxophon ziert in Dinant seither die Straßen und Brückengeländer wie andernorts die Gaslaterne. Musikanten allerdings sieht man weniger, denn der Ort ist so eng ins Tal der Meuse verbaut, da bleibt für Gauklerei kaum Platz. Man fährt mit der Seilbahn den Berg hinan zur Festung, kostet 7,50€ - und genießt den Überblick. Dachte sich das Militär wohl auch - bis zu den Kriegen. Die sind den Belgiern in bitterer Erinnerung. Auch wir Deutschen haben unser Denkmal dort für unsere Leistungen als Barbaren.

Die Maas stürzt nicht nur Könige beim Klettern in die Tiefe, sie verbindet Nord und Süd und trug die Schiffe der Hanse, der Gebirgshanse, wenn man so will. In Namur hatte der Hanseat also Wasser, Fels und Erze, was Belgien ein gutes Einkommen sicherte. Belgien, fragt man sich, was ist das eigentlich? Der Belgier denkt übrigens genauso - unpatriotisch. Der Belgier ist entweder Flame oder Wallone. Es gibt auch noch Preussen in Eupen und in Malmedy, aber die sind entschieden in der Minderheit.

Wir erinnern uns: Flamen bauen Autobahnen (die moderne Hanse) und Wallonen brauen gutes Bier (Keltisch). Das Bier lagern sie schon mal in Champagnerflaschen, denn was der Nachbar-Franzose kann, kann der Wallone auch ohne Rebstock im rauen Klima der Maastäler. Die Bier-Wein-Grenze verläuft somit durch das ehemalige Burgund. Das ehemalige Habsburg. Das ehemalige Kernland des heiligen römischen großen Karls.

Belgien scheint ein Fettfleck auf der Landkarte zu sein. Mal ist er weg, dann schimmert er wieder irgendwo auf, nahezu an der selben Stelle, aber in anderer Begrenzung, dann fehlt er wieder, dann taucht er wieder auf. Belgien ist Niederlande, Belgien ist Spanien, Belgien ist Österreich für Flachländer. Belgien ist ein Phänomen des geregelten Unverständnisses. Es wird nicht umsonst als Keimzelle Europas bezeichnet.

In Namur spannt sich eine alte Steinbrücke über die Maas. Sie verbindet Namur mit Jambes am anderen Ufer. Denn die Stadt hat zwei wie Köln und seine scheele Sick, und beide Seiten gehen auf eine Gründung der Merowinger zurück. Ha. Keine Kelten. Aber fast schon Karl der Große und seine nahe Aachenresidenz. Man hört schon beinahe die Hämmer Brustpanzer dengeln für die edlen Rittersleut, wenn man an dieser Brücke nach Jambes bei einem Bier an der Uferpromenade sitzt und ein Champagnerbier trinkt.

Houppe heißt das Getränk, das man nur ungenau als Gerstensaft bezeichnen könnte, denn die Belgische Giftküche kennt weit mehr Zutaten als das deutsche Reinheitsgebot. Houppe wird in Namur gebraut. Und abgefüllt. Und auf der Rückseite der Flasche steht eine Gebrauchsanleitung. Beobachtung eines Kenners:

Am Nebentisch sitzt ein älterer Herr mit dem Barte des Asterix und schwenkt Eis in seinem Kelch, ein gläserner Pokal, aus dem wenn nicht Caesar, dann die Merowinger, und wenn die nicht, dann Eisenhower getrunken haben - nein, Halt: de Gaulle. Der wurde in Dinant verwundet. De Gaulle also, ein mächtiger Becher. Nach Zeiten des Schwenkens und Sondierens erblickt der Kenner jene matte Patina, die wie Grünspan ein Kirchendach sein Bierglas überzieht: es ist beschlagen.

Der belgische Verkoster also gibt sein Eis in einen Vorratsbecher zurück und nimmt die Bierpulle zur Hand. An deren Flaschenhals hat die Kellnerin beim Entkorken den Stopfen angehängt, damit der Trinker ihn vergnügt betrachten kann - oder dran schnuppern? Der Kenner befüllt nun vorsichtig seinen Pokal ähnlich dem, der zum ersten Mal im Leben Weißbier in den schlanken halben Liter der bayerischen Glasbläser gießt, aber mit Ruhe und Geduld.

Laut Inschrift auf der Flasche (da ist eine Skala angebracht, die dir verrät, bei welchem Entleerungsgrad die Flasche in welchem Winkel geschüttelt und gerüttelt werden soll) ist das Werk für ihn jetzt fast vollbracht. Der Vorgang nahm in etwa einen Sonnenuntergang an Zeit in Anspruch. Die Festung im Hintergrund leuchtet matt vor dem Abendhimmel. Schafe fressen sich den Hang hinauf. Der Merowinger hat die Krone auf sein Glas gesetzt.

So in etwa wird in Namur ein Bier getrunken. Ich versuche gerade zu erinnern, wie es schmeckt. Tja. Einer sagt: nach Bitterorange, Grapefruit?? Etwas malzig-sahniges hat es an sich mit Aromen von Kräutern, aber das beherrschende Moment ist eine kräftige Stammwürze mit hopfiger Note. Hmm. Ich täte sagen, es schmeckt nach Eichenfass - junge Eiche. Barrique!

Belgien. Das Bier bildet den Abschluß einer Antikenauktion in einem der ungezählten Jagdschlösser der Wallonie. Herrlicher Ansitz, Peinlichkeiten in Öl und Leder vom röhrenden Hirsch über die kackende Hundemeute zum Maden zerfressenen Kudugehörn aus belgischer Kolonialzeit und Negern, die aus Messing getriebene Schalen halten, auf denen man seine Handschuhe, Zigarren oder Brillenetuis ablegen kann.

Werkstoffe: Elfenbein, Knochen, niederländische Tapisserie. Ein Kronleuchter wurde aus den Läufen von Rotwild gefertigt. Drei Böcke, deren paarige Hufe nun Glühlampen tragen. Nun. Das Land hat offensichtlich mehr als Bier und Autobahnen im Köcher. Aber die listigen Kelten halten ihre Schätze gut verborgen. Würde ich auch, wenn ich Belgier wäre. Und die Antiquitäten? Nase zu und durch.