Energieentwertung

In einem abgeschlossenen System sollte die Entropie nicht selbsttätig abnehmen. Sie wäre eine Erhaltungsgröße, gäbe es nicht das umgekehrte Phänomen, dass Entropie sich selbst vermehrt. Prozesse, die Entropie vergrößern, nennt man irreversibel. Chemische Energie wandelt sich in mechanische Energie und diese beispielsweise wandelt sich in Wärme. Die Entropie nimmt stetig zu. Da der Prozess nicht vollständig umkehrbar ist, wird von Energieentwertung gesprochen.

Irreversible Prozesse entwerten sich wie Fahrscheine am Stempelautomaten. Sie laufen nur in eine Richtung. Danach fährt man schwarz oder bleibt zu Hause. Als die Römer den Rhein herauf kamen, gab es noch keine Entropie. Es gab noch keine elektronischen Mautsysteme auf der Autobahn und kein GPS. Doch kaum hatte man sie erfunden, waren sie nicht mehr rückgängig zu machen. Und die Entropie ein geradezu eisernes Naturgesetz.

Man versuche mal als Römer, ohne Navi und GPS Köln zu finden. Heutzutage. Hinter dem Adler der dritten Legion? So etwa muss man die Sache verstehen. Jede Errungenschaft entwertet die Chance, ohne sie zu leben.

Oder andersherum: ohne Autobahnmaut werden wir nicht überleben. Der Computer wird uns nie mehr in Frieden lassen. Und die Flaggen der Apolloisten kriegen wir vom Mond auch nicht mehr weg. Es sei denn, sie wären noch nie dagewesen. Dann bliebe eine minimale Chance, dass wenigstens unser Mond einigermaßen sauber bliebe - in Sachen Kolonialismus. Wenn man mal wo einmarschiert ist, dann lässt sich schwer wieder ausmarschieren. Eine Binsenweisheit.

Hadrian hätte sie sicher unterschrieben. Doch der gute Mann aus Isbilia hat sie in Stein Mauern lassen - irgendwo in Schottland droben. Trump steht gleiches noch bevor. Die den Spaniern abgenommenen Gebiete lassen sich vor den Spaniern nicht anders retten, als sie mit einer soliden Mauer zu umgeben. Auch wenn die Spanier längst nicht mehr jenseits der Mauern lagern, die gebaut werden werden oder sind. Was man hat, sagt der Rheinländer, das hat man.

Grippe zum Beispiel. Oder einen Liegeplatz an der Friedhofspforte. Einen dicken Kopf vom Karneval oder schlechte Manieren. Der zweite Hauptsatz der Thermodynamik ist so eine Errungenschaft wie Warzen und Fußpilz in einem Jahrhundertwende-Hallenbad. Der große Schrecken daran ist die irre Versibilität der Irreversibilität. Anders gesagt: das Unumkehrbare beschleunigt sich unumkehrbar. Ein Gaspedal, das nicht mehr zum Fahrer zurückkehrt, wenn er erst mal drauf gedrückt hat.

Die moderne Computergeschichte ist so ein Pedal. Sie ist kaum ein halbes Jahrhundert alt, die flächendeckende Verbreitung der Mikroelektronik kaum die Hälfte, das Netz der Netze nur die Spitze der elektrischen Peitsche, die uns gerade so an die Richtung erinnert, in der wir stramm zu entwickeln haben. Was wird in zehn Jahren sein? fragt eine ambitionierte Sprachenlehrerin, um das einfache Futur zu üben. Gute Frage.

In zehn Jahren, tja. Da wird heute die gute alte Zeit gewesen sein werden gehabt zu haben tun. Und das schlimmste daran: wir können nicht zurück. Oder wie sacht der Rheinländer so schön römantisch im Karneval: So jung kommen wir nicht mehr zusammen. So alt gehen wir nicht mehr auseinander. Auch wenn ich nur noch für Auto und Computer arbeite: ohne sie könnte ich meine Arbeit nicht mehr schaffen.

Eh-Jjja.