Fundraising

Es ist Sommer. Die Temperatur liegt bei 33°, um fünf Uhr nachmittags eine Seltenheit. Erwin ist bei den Anonymen Umweltverschmutzern. Sein Rad sollte vor dem alten Wasserwerk stehen, in dem die Ortsgruppe des hiesigen Umweltverbandes Fledermäuse schützt. Aber auf der Zufahrt stehen nur Autos. Eins hinter dem anderen hastig am Wegrand in die Wiese gesetzt, als seien die Vehikel bei einem Feuerwehreinsatz auf der Straße im Weg gewesen. Der Termin ist unglücklich. Und das Wasserhäuschen liegt im Tal. Man müsste nach dem Bekenntnis den Berg rauf strampeln, ein zu großer erster Schritt. Auch für die Diastole. Radfahren ist Steinzeit ohne Akku. Das eBike allerdings steht hier seit kurzem auf einem Öko-Niveau mit der Atomkraft. Liegt am Lithium. Ich selbst habe nicht viel davon. Oldschool Steampunk muskelbetrieben bin ich den Berg runter gerollt und werde ihn wohl genauso wieder hinaufrollen, sobald sich mit den Mondphasen die Schwerkraft umkehrt. Ansonsten erwartet mich nachher harte Arbeit. Oder ich lege das Bike in Erwins Kofferraum.

Ich ziehe am Portal, einer verkorksten Tür aus Naturmaterialien, die man lieblos auf eine plastikfurnierte Industrietür getackert hat. Sie öffnet sich einen Spalt, und ich höre von drinnen eine Stimme, die sich zu Verschwendungssucht und anderen Todsünden bekennt. »Hallo, ich bin der Theo, und ich bin Umweltverschmutzer ….«

Theo, Erwin und die anderen haben vieles gemein. Sie hinken ihrer verpassten Midlifecrisis hinterher, fahren dicke Autos und haben kürzlich entdeckt, dass uns eine höhere Macht eine Natur geschenkt hat. Und den Herzschrittmacher, Tabak, Koffein und Alkohol, Arterien und Bandscheiben und ökologische Fußabdrücke so groß wie die der Saurier. Erwin sitzt, das erkenne ich mit seitwärts geneigtem Blick durch den Spalt, am Rande einer Stühlchengruppe und schweigt in seine gefalteten Hände. Die tragende Substanz der losen Gruppe aus Bekennern scheint mir eine Domina in der Mitte zu sein, eine ledrige Schamanin in Schwarz behängt mit blauen Perlen und Federn, die es sich leisten kann, auch mit über vierzig noch auf stützende Dessous zu verzichten. Instinktiv erwarte ich, dass ihr drittes Auge mich hinter der Tür ausmacht und ein Menschenopfer vorschlägt.

Der Druidin gehört sicher auch das einzige hinter der Hütte lehnende Mountainbike, um dessen Lenker sich ein Gummisalamander schlingt, der wohl auch als Hupe dienen kann. Die Bremsen sind schlecht eingestellt. Bevor mich die Herrin der auf Räder gespannten Reptilien beim Spionieren hinter der Plastiktür erwischt und vierteilen lässt, scheint es mir vernünftiger, mich neben ihrem fliegenden Besen in die Sonne zu setzen und eine Kippe durchzuziehen. Und mir Gedanken über schlecht eingestellte Bremsen zu machen. Bergab und bergauf. Erwin kommt dann auch recht schnell um die Ecke. Wahrscheinlich immer der Nase nach, hat er mich an Farbe und Geruch des Krauts erkannt, das ich in meiner Zeremonie verbrenne. Er selbst leuchtet vor Vergebung und apostolischem Sendungsbewusstsein. Gerade ist ihm aufgegangen, dass man so vieles im Leben gar nicht braucht. USB-Sticks mit Taschenlampenfunktion zum Beispiel. Nachmittags. Nachmittags braucht man sie nicht. In unseren Breiten. »Obwohl, guck mal hier! Cool, oder?«

Erwin arbeitet beruflich am Umweltschutz. Er ist sowas wie ein Lobbyist für die gute Sache. Erwin denkt darüber nach, flächendeckend Ladestationen für sein Elektroauto zu installieren. In einem zweiten Schritt wird er dafür sorgen, dass die Ladesäulen nur noch sauberen finnischen Strom spenden. In einem dritten Schritt ist nachhaltig geplant, die Finnen zu verpflichten, dass sie uns keinen französischen Atomstrom in die Zapfsäule leiten, also ein elektrisches Ökolabel auf Basis der Blockchain. Das ist dann direkt an den elektronischen Finanzmarkt gekoppelt. Alles in allem werden die klügsten Köpfe gute zwanzig Jahre mit unermüdlicher Überzeugungsarbeit beschäftigt sein. Das USB-Ding in Erwins Hand ist ein Hightech-Giveaway für seine Sache, sozusagen ein leuchtendes Fanal für die Unersetzlichkeit natürlicher Ressourcen. Erwin denkt darüber nach, eine Fledermausapp zu programmieren, die - ein entsprechendes Endgerät vorausgesetzt - Ultraschall direkt ins Deutsche übersetzen kann. Die klügsten Köpfe sind Leute wie Erwin, und sie haben Ideen für zwanzig Jahre. Und wenn es danach noch Natur geben sollte, werden diese Leute auch darauf eine Antwort finden.

Erwin hat kürzlich entdeckt, dass auch menschliches Denken Ultraschall erzeugt. Er hat sich selbst beobachtet. Zur Demonstration denkt er nach und summt dazu einen Ton, der zunächst brummend aus seiner Kehle kommt, dann seitlich aus seinen Ohren, schließlich piepend aus seiner Nase und dann … in den unhörbaren Bereich des Ultraschall übergeht. Die Gedanken sind jetzt natürlich einfach erst mal so Probegedanken, nichts großartiges. Die Lösung des Welternährungsproblems durch Sojaanbau auf dem Mars, solche Fingerübungen.

Ich muss es ihm lassen, irgendwie spürt man, wenngleich nichts zu hören ist, einen Schalldruck etwa da, wo der Inder sein magisches Auge hat. Dem ungeübten Zuhörer wird ganz schwindelig davon, ein unwillkürlicher Fluchtimpuls ist nichts ungewöhnliches. Ich unterbreche Erwin nur ungern, wenn er visionär wird, da ich doch weiß, dass unser aller Schicksal von Musk, Zuckerberg, Gates, Bezos und Erwin abhängt, und Zukunftsstrategien, die nicht in Absichtserklärungen verkümmern. Es ist auch nicht ganz einfach, Erwin zu unterbrechen, deswegen versuche ich ihm telepathisch ein Stopsignal zu übermitteln, etwa auf derselben Frequenz, auf der alle Superhirne dieser Welt kommunizieren. Ich dresche ihm meine Faust auf die Nase. Und dann sage ich ihm, dass er exakt zweiundsiebzig Stunden Zeit hat, um das Geld zurück zu geben, das er mir schuldet.