Die gute, alte Zeit

Eine ganze Weile war der Nachbar von gegenüber in der Samstagiade unangefochten vorn. In den Disziplinen Dezibel und Ressource war er ungeschlagen, bis der Nachbarsjunge von der Ecke sich einen Schlepper gönnte, mit dem man den Kölner Dom über den Rhein ziehen könnte. Wenn man es wollte. Der Kumpel vom anderen Ende vom Dorf hat auch sowas in der Größe, wodurch der Gegenübermann langsam ins Hintertreffen geriete. Konjunktiv steht hier, weil der Gegenübermann fehlende Potenz durch Unermüdlichkeit kompensieren konnte. Bisher.

Ist der Rasentraktor morgens fertig, wird noch vor dem Kaffee um sieben die Motorsense angeschmissen, um Ecken abzukanten. Dann kommt der Kärcher, der Bunsenbrenner, Schneepflu…, achnee, ist ja Sommer, Wasserpumpe, Rasensprengen, Heckenschere, Gasgrill usw., was ein Rentnerleben eben so ersprießlich macht. Die beiden Jungs halten eher scheu dagegen, weil sie die Technik lieben, fette Reifen und so. Sind cool und selten zu vernehmen, was den Kampf zu einem klaren Unentschieden macht: sie könnten, wenn sie wollten. Er wollte, wenn er könnte.

Doch das Gleichgewicht der Kräfte, selten tangiert durch den direkten Nachbarn, dessen Wohnmobiltür akustisch an das Schiebedach eines Müllcontainers am mediterranen Fischmarkt erinnert, und dessen Rasenmäher in seiner Jugend Kettenraucher gewesen sein muss, dessen Hund möglicherweise auch nur ein Plastikspielzeug ist, auf das der Nachbar regelmäßig tritt, wenn er seinen Wohncontainer mit dem mobilen Haushalt belädt, also dieses Gleichgewicht der Kräfte, ist (empfindlich) gestört.

Seit nämlich die russischen Bauleute, die am ehemaligen Wegekreuz den Bau in Schwarzarbeit hochziehen, wochenendes auf der hinteren Wiese noch ein zweites Haus errichten - man ist versucht zu sagen, sie schreien es hoch - und das fürn Appel und n Ei wie schon die beiden Doppelhaushälften in harter Schwarzarbeit errichtet worden sind - schließlich bekommen sie immer noch so viel, dass sie davon in ihrer Heimat fürstlich … also dort, wo nur einheimische essen und sich möglicherweise die nominalen Bauherren zur Zeit von ihrer harten Arbeit erholen, das Finanzamt zu betrügen ... seitdem ist in der bisher harmonischen Lärmkulisse des Wochenendes irgenswie der Wurm drin.

Die Kreissäge schallert und die Wirtschaft boomt. Man hört es von weitem kommen. Es stampft ein Tsunami von Wirtschaftswachstum auf uns zu, der möglicherweise laut Verbraucherinformation auch all das CO2 unterm norwegischen Meeresgrund begraben wird, das momentan aus den Auspüffen der Walzen, Rüttelbretter, Krane und Bagger dieselt, mit deren Kraft wir überall, wo früher einmal Bäume waren, nun Solarzellen verankern. Kurzum, es ist keine Ruhe mehr im Dorf, es sei denn zwei-fuffzich unter der Erde.

Das liegt, man muss die Fakten einfach mal im Zusammenhang sehen, an fehlender Mobilität. Wie schön idyllisch war es hier, als die Nachbarn noch am Wochenende auf ihre Quads und Trikes stiegen und ihren Hubraumgesang in die heimischen Wälder rundum trugen! Als die SUVs noch an die holländische Riviera getreten wurden. Als die Wohnmobile noch hinter Hannibals Elefanten her in fernen Gefilden über Alpenpässe gepeitscht worden sind und eine einsam zurück gebliebene Autowachspoliermaschine hinterm offenen Garagentor ihr gellendes Vibrato sang: Oh, Jesolo.

Da konnte man etwa um diese Zeit auch noch die kleine Glocke von der Kapelle im Nachbarort den Angelus läuten hören. Und die Russen hatten sich um den Fischteich vom Carsten versammelt und hielten dort schweigend ihre Ruten ins Wasser. Was eine Zeit! Aber dann kam Corona ...