La Almanzara

Der nächste Tag beginnt mit einer Überraschung. Mit neuen Schuhen und der Kniebandage fallen die Kilometer leicht. Schon vor dem Mittag bin ich in der nächsten Herberge kurz vor Villafranca de los Barros und bade dort im hauseigenen Pool. Der Gin-Tonic wird fast zum Ritual, gehört jedenfalls zum stilechten Leben eines Amateurpilgers. Ich habe eine fast schmerzfreie Etappe zu feiern. Die Strecke ging durch Olivenhaine und Weinberge über den schönen Hügel von Los Santos de Maimona, den ich mir schon vorher angesehen hatte. Herrliche Ausblicke und ein urtümlicher Feldweg machen die Via de la Plata hier zu einem Erlebnis. Ich hatte mich auch mit Wasser und Gazpacho versorgt, so kam mir die Strecke kurzweilig vor. Zum ersten Mal seit meinem Aufbruch genoß ich das ruhige Vor-sich-hin-Schreiten unter der Sonne. Jetzt also Pool, Erfrischung und dazu die lästigen Zigaretten, die ich mir wohl bald auch abgewöhnen werde.

Kurz nach mir traf eine Tschechin ein, mit der ich heute das Zimmer teile. Die Frauen sind ein Phänomen, wohlgeordnet wie ihre Pläne und Gedanken sind, hat die junge Frau aus Tschechien die Route von Sevilla aus in der halben Zeit bewältigt, die ich vertrödelt habe. Beim Essen erzählt sie mir ihre Geschichte. Als gäbe es einen Masterplot am Camino, haben diese Geschichten doch immer etwas mit der Selbstfindung nach frustrierenden Erlebnissen in meistens hochdotierten Berufen zu tun. Sie ist Finanzmanagerin. Hat dann irgendwann das Businessleben geschmissen und Köchin gelernt. Die alten Muster allerdings sind noch unverkennbar, wenn sie von ihrer Reise berichtet. Offenbar ist sie durch Andalusien weniger gewandert als marschiert. Den Plan scheint sie bis Santiago fortsetzen zu wollen. Lenka spricht Deutsch. Natürlich auch Englisch, Tschechisch und möglicherweise auch andere Sprachen, doch in Spanisch ist mit ihr nichts anzufangen. Unsere Unterhaltung hat schon fast etwas von einem Einstellungsgespräch. So schnell tausche ich sonst kaum Informationen aus über Vergangenheit, Zukunft, Pläne, Weltanschauungen und Ernährungsfragen. Sie hat eine gute App auf dem Handy, Camino-Ninja, die wie auf sie zugeschnitten scheint. Um fünf Uhr, meint sie, schleiche sie für gewöhnlich aus dem Haus wie ein Mäuschen, um ihren Weg zu machen. Allein das schon macht mir Angst.

In den Zeitungen wird nun immer öfter von der herrschenden Hitzewelle berichtet. Menschen sterben in ihren Wohnungen, Waldbrände wüten, Ernten verdorren. Der Glutsommer fordert seinen Tribut. Es schadet nicht, den Menschen vor Augen zu halten, was sie da angerichtet haben, doch leider sind diejenigen, die weiter an der Schraube drehen, nicht hier, wo sich die Tragödie gerade in diesem Moment ereignet. Ein erfahrener Marketingingenieur würde in meiner Situation, denke ich mir, gerade frisch dem Pool entstiegen, seinen Weg als Fanal gegen die Klimaerwärmung in Szene setzen. Dazu war ich nie clever genug. Aber die direkte Erfahrung von dem, was andere nur im Fernsehen bestaunen, im Staub der Carretera zu erleben, gibt einem doch eine gewisse Glaubwürdigkeit. Jetzt bin ich ja von Haus aus kein Verschwender und muss mich auch nicht schämen, von dem unsäglichen Leid der Menschen durch fette Löhne, Sicherheit oder Luxus profitiert zu haben, aber die Eindrücke graben sich tief ins Bewusstsein. Wir haben unseren Planeten mit Füßen getreten und erwarten, dass er es uns verzeiht. Würden wir dann aufhören? Oder uns „Na-also, geht doch“ auf die Schulter klopfen und mit Volldampf weiter in die Katastrophe rasen? Von diesem Standpunkt gesehen, kann man den Camino nur empfehlen, am besten im Sommer, im Glutsommer, in der Extremadura.