Die Sektstadt

Jeder Peregrino auf dem Camino de Santiago hat einmal einen schweren Durchhänger, einen Tag, an dem partout nichts geht. So heißt es. Nach meinen Eindrücken aus Villafanca de los Barros erwartete ich diesen Schicksalstag auf der nächsten Etappe nach Torremejía. Weil es mir am Sonntag nicht gelang, in Villafranca Wasser und Gazpacho zu bekommen und für den nächsten Tag zu kühlen, war ich mit einer lauwarmen Flasche Agua und einer medizinischen Dosis der Gemüsekaltschale losgegangen und hatte in einem langen knirschenden Weg durch endlose Weinfelder allmählich meine Befürchtungen verloren, als der Abzweig nach Almendralejo kam. Die Sektstadt, wie sie sich selbst gern nennt, wollte ich sehen. Also querte ich die Autobahn und die Gleise der Bahn nach Mérida und knipste einige Fotos von Weinstöcken, die hier teils ohne Draht auf roströtlichem Boden stehen. Das ganze wirkte sehr einladend. In großer Vorfreude auf das Weinmuseum und die Weinfachschule war ich schon gegen zehn Uhr in dem traditionsreichen Ort eingetroffen und saß entschlusslos in einem Café vor meiner Tostada con Tomate. Solle ich bleiben oder weiter gehen? Allmählich stieg die Temperatur, und der restliche Weg würde nicht mehr zu bewältigen sein. Also suchte ich nach dem für Peregrinos ausgewiesenen Hotel, das nach Cervantes’ Dulcinea benannt, direkt vor meiner Nase lag. Der Plan, mich mit dem einheimischen Cava vertrauter zu machen, nahm Formen an, und ich vertrödelte die entscheidende Stunde, bis ich tatsächlich vor dem Hotel stand. Es war geschlossen.

Diese Erfahrung wiederholte sich mehrmals mit anderen Hotels und Herbergen und schließlich mit dem Museum, das am Montag - siehe Itálica - geschlossen war. Von der Weinfachschule nicht zu sprechen, blieb mir nichts, als die letzte Wegstunde mit dem Bus zurück zu legen. Fahrzeit und -preis sind nicht der Rede wert, aber die Piste lehrte mich das Grauen. Wäre ich die knappen zehn Kilometer noch gegangen, hätte ich sie praktisch auf der Standspur der Autovía zurückgelegt. So komme ich also doch noch nach Torremejía an mein Etappenziel, trotz Umweg genau zur Mittagszeit. Der Ort könnte als Kulisse für einen Western dienen, würde man nur die Autos entfernen. Sie stehen mit laufenden Klimaanlagen am Straßenrand und trotzen unter dicken Schichten von gelblich-braunem Staub den Bedingungen, an die sich die Dorfbewohner, wie ich im örtlichen Café erfahre, gewöhnt hätten. Nur eben nicht in diesem Jahr, daran könne man sich nicht gewöhnen. Die Temperaturen steigen, was sie gerne tun, unaufhörlich, während ein heißer Wind die weithin überschaubare Piste entlang von Almendralejo her in den Ort streicht. Auf der anderen Seite streicht er wieder hinaus und wirbelt den Staub um Fahrzeuge, von denen man meinen könnte, sie bewegten sich auf nacktem Sand. Irgendwo in Afrika. Und kämen im großen und ganzen nicht vom Fleck. Dort geht es nach Mérida weiter, der Stadt des Augustus. Schwer vorzustellen, dass dort ein breiter Fluß strömt, den ich gut kenne, der Oberlauf des Guadiana.

Ich zähle die Blasen an meinen Füßen. Es sind zwei. Links eine und eine rechts. Gut abgetrocknet machen sie den Eindruck, dass sich meine Haut in Zwiebelschalen verwandelt. Die Herberge habe ich mal wieder für mich allein. Ein Ventilator im Durchgang soll die Temperatur drücken. Das Lied, das er brummt, hört sich an wie ein unendlich verlangsamtes unendlich fernes Glockengeläut. Vielleicht das der Kathedrale von Santiago. Es begleitet mich durch die Nacht.